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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gesagt?«
    »Nichts!«
    »Aber du warst dir deiner Sache über mich und Juliet ziemlich sicher, oder vielleicht nicht? Die Sicherheit hat er dir gegeben. Was hast du getan, um die Information von ihm zu kriegen, Polly?«
    Ihr Haar flog, als sie den Kopf in die Höhe riß. »Was soll das heißen?«
    »Hast du mit ihm geschlafen? Du warst doch jeden Tag stundenlang mit dem Mann allein im Pfarrhaus. Hast du's vielleicht mit irgendeinem Zauber versucht?«
    »Niemals!«
    »Bist du auf ein Mittel gekommen, um zwischen uns alles kaputtzumachen? Hast du die Idee von ihm?«
    »Nein! Colin...«
    »Hast du ihn umgebracht? Polly? Und Juliet soll dafür büßen?«
    Sie sprang auf, stellte sich breitbeinig vor ihn hin, stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du solltest dich mal hören! Du redest von mir. Sie hat dich verhext. Sie hat dir den Kopf verdreht, hat dich so weit gebracht, daß du ihr aus der Hand frißt, dann hat sie den Pfarrer umgebracht und ist ungeschoren davongekommen. Und dich macht deine eigene hirnlose Lust so blind, daß du nicht einmal siehst, wie sie dich benützt hat.«
    »Es war ein Unglücksfall.«
    »Es war Mord, Mord, Mord, und sie hat's getan, und alle wissen es. Keiner kann sich vorstellen, daß du so dumm bist, auch nur ein Wort von dem zu glauben, was sie behauptet. Nur wissen wir ja alle, warum du ihr glaubst, nicht wahr, wir wissen ja alle, was du von ihr kriegst, wir wissen sogar, wann du's kriegst. Und meinst du nicht, sie könnte unserem netten kleinen Herrn Pfarrer auch ein bißchen was davon gegeben haben?«
    Der Pfarrer... Der Pfarrer... Es überkam Colin: Blut und Hitze. Seine Muskeln spannten sich, und seine Mutter schrie: Nein, Ken, nicht!, als er seinen Arm in die Höhe schwang, rechte Hand zur linken Schulter, und vorwärtsstürzte, um zuzuschlagen. Mit Feuerlunge und rasendem Herzen und dem Wunsch nach Kontakt und Schmerz und Vergeltung und - Polly schrie auf, taumelte nach rückwärts. Ihr Stiefel stieß gegen das Sherryglas. Es flog zum Feuer und zerbrach am Kamingitter. Der Sherry tropfte zischend ins Feuer. Der Hund begann zu bellen.
    Und Colin stand mit erhobenen Armen und lechzte danach zuzuschlagen. Polly war nicht Polly, und er war nicht Colin, und die Vergangenheit und die Gegenwart tobten um ihn wie der Wind. Die Arme erhoben, das Gesicht in einem Ausdruck entstellt, den er tausendmal gesehen, aber niemals an sich selbst gefühlt hatte, von dem er niemals geglaubt, niemals geträumt hatte, daß er ihn je fühlen würde. Weil er unmöglich der Mann sein konnte, von dem er sich geschworen hatte, daß es ihn niemals geben würde.
    Leos Bellen wurde zu schrillem Gekläff. Es klang wild und ängstlich.
    »Ruhig!« fuhr Colin ihn an.
    Polly zuckte zusammen. Sie machte einen Schritt zurück.
    Ihr Rock streifte die Flammen. Colin packte sie am Arm und zog sie vom Feuer weg. Sie riß sich los. Leo sprang zurück. Seine Krallen kratzten über den Boden. Neben dem Knacken des Feuers und Colins keuchendem Atem war dieses Kratzen das einzige Geräusch im Raum.
    Colin hielt seine Hand in Brusthöhe hoch. Er starrte auf seine zitternden Finger. Nie in seinem Leben hatte er eine Frau geschlagen. Er hätte nie geglaubt, dazu überhaupt fähig zu sein. Sein Arm fiel herab wie ein schweres Gewicht.
    »Polly!«
    »Ich hab den Kreis für dich gezogen. Und für Annie auch.«
    »Polly, es tut mir leid. Ich bin völlig durcheinander. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.«
    Sie begann, ihren Mantel zuzuknöpfen. Er sah, daß ihre Hände noch stärker zitterten als seine, und er wollte ihr helfen, hielt jedoch sogleich inne, als sie laut »Nein!« schrie, als fürchtete sie, geschlagen zu werden.
    »Polly...«
    Seine Stimme klang verzweifelt, selbst in seinen eigenen Ohren. Aber er wußte nicht, was er sagen wollte.
    »Sie hat dich so weit gebracht, daß du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst«, sagte Polly. »Ja, das ist es. Aber du merkst es nicht. Du willst es nicht einmal merken. Du willst es nicht sehen, weil genau das, was macht, daß du mich haßt, auch das ist, was dich davon abhält, die Wahrheit über sie zu erkennen.«
    Sie zog ihren Schal aus der Tasche, versuchte mit zitternden Händen, ihn zu einem Dreieck zu falten, und warf ihn über ihren Kopf, um ihr Haar zu bändigen. Sie knotete die Enden unter ihrem Kinn. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie an ihm vorüber, ging mit ihren knarrenden alten Stiefeln durch das Zimmer. An der Tür blieb sie stehen und

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