06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Gott. Entschuldige. Es tut mir leid.«
Er versuchte so zu tun, als sei er nicht getroffen. »Nun, die Worte entsprachen doch ziemlich genau den Tatsachen. Das wissen wir beide.«
»Nein. Sie waren grausam. Maggie ist überhaupt nicht nach Hause gekommen. Ich habe überall herumtelefoniert. Ich habe das Gefühl, in der Falle zu sitzen und.«
Sie ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie an ihr Kinn. Im schwachen Licht, das aus der Küche hereinfiel, sah sie selbst wie ein Kind aus. »Colin, du weißt nicht, wie sie ist - oder wie ich bin. Die Tatsache, daß du mich liebst, kann daran nichts ändern.«
»Und du?«
»Was?«
»Liebst du mich nicht auch?«
Sie drückte die Augen zu. »Ob ich dich liebe? Ach, es ist ja grotesk, natürlich liebe ich dich. Und sieh dir an, wohin mich das mit Maggie gebracht hat.«
»Maggie kann nicht dein Leben bestimmen.«
»Maggie ist mein Leben. Wieso kannst du das nicht verstehen? Es geht hier nicht um uns - um dich und mich, Colin. Es geht nicht um unsere Zukunft, denn wir haben keine Zukunft. Aber Maggie hat eine. Und ich werde nicht zulassen, daß sie sie zerstört.«
Er hörte nur einen Teil ihrer Worte und wiederholte langsam und sorgfältig, um sich zu vergewissern, daß er richtig verstanden hatte: »Wir haben keine Zukunft?«
»Das hast du doch von Anfang an gewußt. Du wolltest es dir nur nicht eingestehen.«
»Wieso?«
»Weil die Liebe uns der realen Welt gegenüber blind macht. Sie gibt uns das Gefühl, so heil zu sein - so sehr Teil eines anderen Menschen -, daß wir ihre andere Seite, die Macht zu zerstören, gar nicht sehen.«
»Ich wollte eigentlich nicht wissen, warum ich es mir nicht eingestehen wollte. Ich wollte wissen, wieso wir keine Zukunft haben«, sagte er.
»Selbst wenn ich nicht zu alt wäre, selbst wenn ich Kinder haben wollte, selbst wenn Maggie akzeptieren könnte, daß wir heiraten...«
»Du weißt ja gar nicht, daß sie das nicht kann.«
»Laß mich ausreden. Bitte. Dies eine Mal. Und hör mir zu.«
Sie wartete einen Moment, vielleicht um sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie streckte ihm die Hände zu einer Muschel zusammengelegt entgegen, als wollte sie ihm geben, was sie sagte. »Ich habe einen Menschen getötet, Colin. Ich kann nicht länger hier in Winslough bleiben. Und ich werde nicht zulassen, daß du diesen Ort verläßt, den du liebst.«
»Die Polizei ist hier«, sagte er statt einer Antwort. »Sie sind aus London gekommen.«
Sogleich ließ sie ihre Hände sinken, und ihr Gesicht veränderte sich. Es war, als stülpe sie eine Maske über. Er spürte die Distanz, die dadurch zwischen ihnen geschaffen wurde. Sie war unverletzlich und unerreichbar, ihre Rüstung undurchdringlich. Als sie sprach, klang ihre Stimme völlig ruhig.
»Aus London? Und was wollen sie?«
»Sie wollen herausbekommen, wer Robin Sage getötet hat.«
»Aber wer...? Wieso...?«
»Es spielt keine Rolle, wer sie angerufen hat. Oder warum. Entscheidend ist, daß sie jetzt hier sind. Sie wollen die Wahrheit wissen.«
Sie hob ein klein wenig den Kopf. »Dann werd ich's ihnen sagen.«
»Stell dich nicht als die Schuldige hin. Das ist nicht nötig.«
»Ich habe schon einmal das gesagt, was du für richtig hieltst. Ich werde es nicht wieder tun.«
»Du hörst mir nicht zu, Juliet. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, daß du dich opferst. Du bist genauso unschuldig wie ich.«
»Ich habe diesen Menschen getötet.«
»Du hast ihm wilde Pastinake zu essen gegeben.«
»Was ich für wilde Pastinake hielt. Die ich selbst ausgegraben hatte.«
»Das kannst du nicht mit Sicherheit sagen.«
»Aber natürlich kann ich das! Ich hab sie doch genau an dem Tag ausgegraben.«
»Alles?«
»Alles? Was soll die Frage bedeuten?«
»Juliet, hast du an dem Abend auch etwas Pastinake aus dem Keller geholt? Hast du sie auch mitgekocht?«
Sie trat einen Schritt zurück, als wollte sie sich von dem distanzieren, was seine Worte implizierten. Nun stand sie noch tiefer im Schatten. »Ja.«
»Und merkst du nicht, was das bedeutet?«
»Es bedeutet gar nichts. Es waren nur noch zwei Wurzeln im Keller, als ich an dem Morgen nachsah. Deswegen bin ich losgegangen, um noch welche zu holen. Ich.«
Er hörte, wie sie schluckte, als sie zu begreifen begann. Er ging zu ihr. »Du begreifst es also, nicht wahr?«
»Colin...«
»Du hast die Schuld völlig grundlos auf dich genommen.«
»Nein. Das ist nicht wahr. Das kannst du nicht glauben. Das darfst du gar nicht
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