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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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glauben.«
    Er strich ihr mit dem Finger über die Wange, zeichnete die Linie ihres Kiefers nach. Gott, sie war sein Lebenselixier. »Du merkst es gar nicht, nicht wahr? Du bist so gut, daß du es nicht einmal erkennen willst.«
    »Was denn?«
    »Es ging überhaupt nicht um Robert Sage. Es ist nie um Robert Sage gegangen. Juliet, wie kannst du am Tod des Pfarrers Schuld haben, wenn doch du es warst, die sterben sollte?«
    Sie starrte ihn an. Sie begann zu sprechen. Mit einem Kuß gebot er ihren Worten - und der Furcht, die, wie er wußte, hinter ihnen lag - Einhalt.

    Sie hatten gerade den Speisesaal verlassen und gingen durch die Gaststube zum Aufenthaltsraum für die Hotelgäste, als der ältere Mann ihnen in den Weg trat. Er musterte Deborah mit einem einzigen Blick von oben bis unten, vom roten Haar - dessen Zustand immer zwischen nachlässig frisiert und total zerzaust zu bezeichnen war - bis zu den grauen Wildlederschuhen mit den glänzenden Altersflecken. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf St. James und Lynley, inspizierte beide mit der Schärfe, mit der man gemeinhin die Integrität eines Fremden einzuschätzen versucht.
    »Scotland Yard?« fragte er. Sein Ton war gebieterisch, ein Ton, der vom Angesprochenen absolute Untertänigkeit erwartete. Gleichzeitig sagte er Ihre Sorte kenn ich, treten Sie zwei Schritte zurück und nehmen Sie die Mütze ab. Es war der Herrenton, jener Ton, den abzuschütteln sich Lynley jahrelang bemüht hatte und bei dem sich ihm augenblicklich die Haare sträubten, wenn er ihn hörte.
    St. James sagte ruhig: »Ich trinke einen Cognac. Und du, Deborah? Tommy?«
    »Ja. Gerne.«
    Lynley sah St. James und Deborah nach, als sie zum Tresen gingen.
    Keiner der Stammgäste im Pub schien dem Mann, der vor Lynley stand und auf Antwort wartete, sonderliche Beachtung zu schenken. Dennoch waren sich offensichtlich alle seiner Anwesenheit bewußt. Ihr Bemühen, ihn zu ignorieren, war zu demonstrativ, die hastigen Blicke, die sie ihm zuwarfen, nicht unauffällig genug.
    Lynley musterte den Mann. Er war groß und mager, mit grauem Haar, das sich zu lichten begann, und einer hellen Haut von gesunder Farbe, die verriet, daß der Mann viel Zeit im Freien verbrachte; beim Jagen und Fischen vermutlich, denn nichts an ihm ließ darauf schließen, daß er sich den Elementen aus anderen Gründen aussetzte als zum Vergnügen. Er trug einen Anzug aus erstklassigem Tweed; seine Hände waren gepflegt; er strahlte Selbstsicherheit aus. Und der Ausdruck des Widerwillens, mit dem er zu Ben Wragg hinüberblickte, der gerade mit der Faust auf den Tresen schlug und über einen Witz lachte, den er selbst St. James erzählt hatte, sagte klar, daß ein Besuch im Crofters Inn eigentlich weit unter seiner Würde war.
    »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt«, sagte der Mann. »Ich hätte gern eine Antwort. Und zwar sofort. Ist das klar? Wer von Ihnen ist vom Yard?«
    Lynley nahm den Cognac, den St. James ihm brachte. »Ich«, antwortete er. »Inspector Thomas Lynley. Und ich nehme an, Sie sind Townley-Young.«
    Er verabscheute sich selbst, als er es tat. Der Mann hatte aus Lynleys Äußerem keinerlei Schlüsse über ihn oder seine Herkunft ziehen können, da er sich zum Abendessen gar nicht erst groß umgezogen hatte. Er trug einen burgunderroten Pullover über seinem gestreiften Hemd, dazu eine graue Flanellhose und Schuhe, in deren Naht noch etwas Schmutz saß.
    Bis zu dem Moment also, als Lynley den Mund aufmachte - als er beschloß, jenen Ton anzuschlagen, der Nobelinternat und alter Adel schrie -, hatte Townley-Young nicht wissen können, daß er es mit einem Grafen reinsten Geblüts zu tun hatte. Mit Sicherheit wußte er es immer noch nicht. Niemand flüsterte ihm der achte Graf von Asherton ins Ohr. Niemand wies ihn auf Vermögen und Abstammung hin; Stadthaus in London, Familienanwesen in Cornwall, Anrecht auf einen Sitz im Oberhaus (auch wenn Lynley davon bestimmt nie Gebrauch machen würde).
    Während Townley-Young noch verdattert schwieg, stellte Lynley St. James und Deborah vor. Dann trank er einen Schluck von seinem Cognac und musterte Townley-Young über den Rand seines Glases.
    Der Mann machte soeben eine merkliche Haltungsänderung durch. Die eingekniffenen Nasenflügel blähten sich, der Rücken lockerte sich. Es war klar, daß er am liebsten ein halbes Dutzend Fragen gestellt hätte, die in der Situation absolut verboten waren, und daß er den Eindruck zu erwecken versuchte, er habe von Anfang an

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