06 - Der Schattenkrieg
konnte, ohne erst in den TV-Raum im neuen Nordflügel gehen zu müssen, ein gesichertes Computerterminal, über das er mit anderen Büros Verbindung aufnehmen konnte die Tasten waren verstaubt, denn Greer hatte das Gerät so gut wie nie benutzt. Vor allem aber gab es Platz. Wenn er wollte, konnte er aufstehen und auf und ab gehen. Der Job verschaffte ihm unbeschränkten Zugang zum Direktor, und wenn Richter Moore außer Haus war, konnte Ryan im Weißen Haus um einen Soforttermin beim Präsidenten bitten.
Ryan setzte sich auf den Sessel mit der hohen Rücklehne vorm Fenster, und ihm wurde plötzlich bewußt, daß er es geschafft hatte. Mit knapp vierzig war er am Ziel. Sein Geld hatte er sich als Börsenmakler verdient, und das Vermögen wuchs weiter; auf sein CIA-Gehalt war er angewiesen wie auf einen dritten Schuh; er hatte seinen Doktor gemacht, Bücher geschrieben, sich als Geschichtsdozent betätigt, eine neue, aufregende Karriere aufgebaut und sich weit nach oben gearbeitet. Er hätte sich nun im satten Selbstbewußtsein sonnen können, wäre da nicht ein väterlicher alter Mann gewesen, der im Krankenhaus einen langsamen Tod starb. Nur deshalb saß Ryan hier. Ein Duft weckte seine Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und stellte fest, daß jemand die Kaffeemaschine auf dem Ecktisch angestellt hatte. Das mußte Nancy gewesen sein. Aber Admiral Greers spezielle Marinebecher waren fort und durch Haustassen ersetzt worden, auf denen »CIA« stand. Es klopfte an; Nancy steckte den Kopf herein.
»Dr. Ryan, die Besprechung mit den Abteilungsleitern beginnt in zwei Minuten.«
»Vielen Dank, Mrs. Cummings. Wer hat für Kaffee gesorgt?«
»Der Admiral rief heute früh an und meinte, Sie würden ihn an Ihrem ersten Tag nötig haben.« »Ach so. Dann werde ich mich bei ihm bedanken, wenn ich ihn heute abend besuche.« »Er hörte sich heute etwas besser an«, meinte Nancy hoffnungsvoll. »Hoffen wir, daß Sie recht haben.« Die Abteilungsleiter trafen pünktlich ein. Er schenkte sich eine Tasse ein, bot seinen Besuchern Kaffee an und begann sofort mit der Arbeit. Der erste Bericht betraf wie üblich die Sowjetunion; dann folgten Meldungen aus anderen Regionen rund um den Globus. Jack hatte seit Jahren an diesen Besprechungen teilgenommen, aber nun war er der Mann hinterm Schreibtisch. Er wußte, wie man solche Sitzungen leitete, und wich nicht von der Prozedur ab. Dienst mußte Dienst bleiben. Anders hätte der Admiral es nicht gewollt.
Mit der Genehmigung des Präsidenten ging alles zügig voran. Die Kommunikation mit dem Ausland übernahm wie immer die Nationale Sicherheitsbehörde NSA. Es war schon eine Vorwarnung an die Justizattaches in mehreren europäischen Botschaften hinausgegangen, und zur festgesetzten Zeit, zuerst in Bern, begannen die satellitenverbundenen Fernschreiber Papier auszuspucken. In den Kommunikationsräumen aller Botschaften stellten die Techniker fest, daß der sicherste Übertragungsmodus gewählt worden war. Das erste Registerblatt kündigte die verschlüsselte Nachricht an, zu deren Entzifferung ein Schlüssel aus dem Safe geholt werden mußte. Für besonders geheime Meldungen wie die vorliegende waren konventionelle Chiffriermaschinen nicht sicher genug. Jede Botschaft verfügte über einen Panzerschrank im Grund ein Safe innerhalb eines größeren Safes, der eine Anzahl ganz gewöhnlich aussehender Audiokassetten enthielt. Jede war in farbige, durchsichtige Kunststoffolie eingeschweißt und jede trug zwei Nummern. Eine Nummer in diesem Fall 342 stellte die Registrierung der Kassette dar. Die andere in der Berner Botschaft lautete sie 68 bedeutete die laufende Nummer innerhalb der 342er Serie. Für den Fall, daß die Plastikhülle einer Kassette, ganz gleich, wo auf der Welt, aufgeplatzt, zerkratzt oder auch nur verzogen war, zerstörte man alle Bänder dieser Serie in der Annahme, daß sie nicht mehr sicher waren.
Im vorliegenden Fall nahm der Kommunikationstechniker die Kassette aus ihrer Box, prüfte die Nummer und ließ diese Tatsache vom Aufseher vom Dienst bestätigen. »Ich lese die Nummer als drei-vier-zwo.«
»Korrekt«, bestätigte der Aufseher. »Drei-vier-zwo.«
»Ich öffne nun die Verpackung der Kassette«, sagte der Techniker und schüttelte dabei den Kopf über die umständliche Prozedur.
Die Kunststoffolie kam in den Papierkorb neben dem Schreibtisch, und dann legte der Techniker die Kassette in ein ganz normal aussehendes Abspielgerät, das mit einem anderen, in der Nähe
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