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06 - Der Schattenkrieg

06 - Der Schattenkrieg

Titel: 06 - Der Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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nichts ahnten, und dabei doch unbewußt erkannte, daß sie Bescheid wissen mußten. Doch welche Wahl blieb ihr? Sollte sie für den Rest ihres Lebens Witwentracht tragen? Das gehörte der Vergangenheit an. Schließlich hatte sie angemessen lange getrauert. Sie weinte allein in ihrem Bett, wenn sie an ihre vielen Jubiläen dachte oder Rich mit seinem Boot sah, für das sie so lange gespart hatten… Was erwarten die Leute denn von mir? fragte sie sich gequält. Ich habe doch noch ein Leben vor mir, ich habe meine Bedürfnisse.
Was würde Rich sagen? Er hatte keine Zeit mehr gehabt, etwas zu sagen. Rich war auf dem Weg zur Arbeit gestorben, zwei Monate nach einer Routineuntersuchung, die ergeben hatte, daß er etwas übergewichtig war, leicht erhöhten Blutdruck hatte, einen für einen Mann seines Alters akzeptablen Cholesterinspiegel kein Grund zur Sorge also; er solle im folgenden Jahr wiederkommen, meinte der Arzt. Dann, um sieben Uhr neununddreißig in der Frühe, war sein Wagen von der Fahrbahn abgekommen, gegen die Leitplanke geprallt und stehengeblieben. Ein Polizist war an die Unfallstelle gekommen und hatte zu seiner Überraschung festgestellt, daß der Fahrer noch am Steuer saß. Ist der Mann etwa am frühen Morgen betrunken? fragte er sich, merkte aber dann, daß der Puls fehlte. Ein Krankenwagen wurde gerufen; der Polizist hatte, da er einen Herzanfall vermutete, bei seinem Eintreffen schon mit der Herzmassage begonnen; aber obwohl man tat, was man konnte, war es zu spät. Krankhafte Arterienerweiterung im Gehirn, Schwächung eines Blutgefäßes, hatte der Arzt nach der Obduktion erklärt. Man hätte ihm nicht mehr helfen können. Der Grund? Eine vererbte Schwäche vielleicht, wahrscheinlich aber nicht.
Nein, der Blutdruck hatte nichts damit zu tun gehabt. So etwas war selbst unter günstigsten Bedingungen fast unmöglich zu diagnostizieren. Hatte er über Kopfschmerzen geklagt? War selbst dieses Warnsignal ausgeblieben? Der Arzt hatte sich leise entfernt und sich gewünscht, mehr sagen zu können. Er war nicht zornig, sondern eher traurig über die Tatsache, daß die Medizin nicht auf alles eine Antwort hatte und daß man in einem solchen Fall eigentlich nicht viel sagen konnte. (So was passiert eben, meinten die Ärzte, wenn sie unter sich waren, aber das konnte man schließlich den Hinterbliebenen nicht als Trost anbieten.) Der Tod mußte schmerzlos gewesen sein, erklärte der Arzt. Dann die Beerdigung. Emil Jacobs, der sich sch on auf den Tod seiner Frau gefaßt machte, war gekommen und hatte seine Frau aus dem Krankenhaus mitgebracht. Die vielen Tränen, die an diesem Tag vergossen wurden… Es war ungerecht. Es war nicht recht, daß er ohne ein Wort des Abschieds gehen mußte. Noch ein Kuß auf dem Weg zur Tür, der nach Kaffee schmeckte, eine kurze Bemerkung, er müsse auf dem Heimweg beim Supermarkt vorbei fahren, und dann hatte sie sich abgewandt, ohne zu sehen, wie er zum letzten Mal in sein Auto stieg. Deswegen hatte sie sich noch monatelang Vorwürfe gemacht.
Was würde Rich sagen? Aber Rich war tot, und zwei lange Jahre waren genug. Als sie nach Hause kam, hatten die Kinder schon das Essen aufgestellt. Moira ging nach oben, um sich umzuziehen, und ertappte sich immer wieder dabei, daß sie zum Telefon auf dem Nachttisch schaute. Sie setzte sich aufs Bett. Nach einer Minute holte Moira den Zettel aus der Handtasche, atmete tief ein und wählte. Nach den bei internationalen Gesprächen üblichen Pieptönen meldete sich eine Frau. »Diaz y Diaz.« »Könnte ich bitte Juan Diaz sprechen?«
»Wen darf ich melden?« fragte die Frau auf englisch. »Moira Wolfe.«
»Ah, Señora Wolfe! Ich bin Consuela. Momente«.« Eine Minute Rauschen in der Leitung. »Señora Wolfe, er ist irgendwo in der Fabrik. Ich kann ihn im Augenblick nicht finden. Soll er zurückrufen?« »Ja, ich bin zu Hause.«
»Si, ich will es ausrichten Señora?«
»Ja?«
»Verzeihung, aber ich muß Ihnen unbedingt etwas sagen. Seit dem Tod seiner Maria war mir Señor Juan wie ein Sohn. Seit er Ihnen begegnet ist, Señora, ist er wieder glücklich. Ich fürchtete schon, er würde nie wieder bitte verraten Sie nicht, daß ich das gesagt habe, aber ich möchte Ihnen für alles, was Sie getan haben, danken. Wir hier in der Firma wünschen Ihnen und Juan alles Gute.« Genau, was sie hören wollte. »Consuela, Juan hat mir so viel Gutes über Sie erzählt…« »Ach, ich habe schon viel zuviel geredet. Jetzt gehe ich Señor Juan

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