06 - Der Schattenkrieg
hinaus?« Fowler hatte sich jäh vom optimistischen Kandidaten in einen vorsichtigen Politiker verwandelt, der hoffte, bald Staatsmann zu werden was immer das sein sollte, dachte er.
»Es wird spekuliert, die USA hätten die Hand im Spiel gehabt«, erläuterte der Reporter. »Wie Sie wissen, haben der Präsident und ich viele Differenzen, und manche sind sehr ernst, aber ich kann mich nicht entsinnen, daß dieses Land jemals einen Präsidenten hatte, der zu kaltblütigem Mord bereit war. Diesen Vorwurf möchte ich gegen unseren Präsidenten nicht erheben«, erklärte Fowler in seinem schönsten staatsmännischen Tonfall. Eigentlich hatte er vorgehabt, überhaupt nichts zu sagen. Fowler, der selbst bei seinen Gegnern als ehrenhafter, bedächtiger Mann galt, hatte sich in seinem Wahlkampf auf die Sachfragen konzentriert und auf Polemik verzichtet, und seine Erklärung reflektierte diese Haltung. Es war nicht seine Absicht gewesen, die Politik der US-Regierung zu beeinflussen oder seinem zukünftigen Opponenten eine Falle zu stellen. Doch er hatte unwissentlich beides getan.
Der Präsident hatte schon lange geplant, sich während der Konvention der Oppositionspartei nach Camp David zurückzuziehen. Auf dem Rasen vor dem Weißen Haus stand der Hubschrauber bereit, aber um ihn zu erreichen, mußte er ein Spießrutenlaufen bestehen. Als der Präsident mit der First Lady und zwei Assistenten aus der Tür trat, erwartete ihn eine Phalanx aus Reportern und Kameras. Wissen die Russen eigentlich, worauf sie sich mit ihrer Glasnost eingelassen haben? fragte er sich ironisch.
»Mr. President!« rief ein bekannter TV-Reporter. »Gouverneur Fowler hofft, daß wir nichts mit dem Bombenanschlag in Kolumbien zu tun haben. Könnten Sie dazu eine Erklärung abgeben?« Der Präsident ging auf die Journalisten hinter der Seilabsperrung zu und war sich bewußt, daß es ein Fehler war, überhaupt auf die Frage einzugehen. Andererseits durfte er nicht den Eindruck erwecken, als wiche er ihr aus. Er war ohnehin im Begriff, das Rampenlicht für eine Woche der Opposition zu überlassen, und wollte vermeiden, daß das Thema in der Schwebe blieb und womöglich ausgeschlachtet wurde.
»Die Vereinigten Staaten«, erklärte der Präsident, »töten keine unschuldigen Frauen und Kinder, sondern bekämpfen Leute, die so etwas tun. Wir sinken nicht auf diese bestialische Ebene hinab. Ist Ihnen diese Antwort klar genug?«
Sie wurde in einem ruhigen, vernünftigen Ton gegeben, aber der Blick des Präsidenten ließ den erfahrenen Journalisten zusammenzucken. Gut, dachte der Präsident, daß die Kerle manchmal meine Macht zu spüren bekommen.
Es war die zweite große politische Lüge des ansonsten ereignisarmen Tages. Gouverneur Fowler wußte wohl, daß John und Robert Kennedy mit großem Einsatz und in James-Bond-Manier Attentate auf Castro und andere geplant hatten, nur um lernen zu müssen, daß politischer Mord ein schmutziges Geschäft ist. Sehr schmutzig sogar, denn es standen meist Menschen in der Nähe, die man nicht unbedingt töten wollte. Der gegenwärtige Präsident kannte sich mit »Kollateralschaden« genau aus, einem Begriff, den er zwar widerwärtig fand, aber auch bezeichnend für etwas, das Menschen, die es nicht verstanden, unmöglich zu erklären war: die Tatsache, daß Terroristen und Verbrecher, im Grunde alles Feiglinge, sich grundsätzlich hinter oder unter den Unschuldigen versteckten, die Mächtigen zum Handeln herausforderten, den Altruismus ihrer Feinde als Waffe gegen sie einsetzten. Ihr könnt uns nichts anhaben, ging das Argument. Ihr seid die »Guten«, wir sind die »Bösen«. Ihr könnt uns nicht angreifen, ohne euer positives Selbstwertgefühl zu ruinieren. Das war das widerwärtigste Attribut dieser widerwärtigen Menschen, und manchmal, wenngleich nur selten, mußte man ihnen zeigen, daß das Argument nicht zog. Und so eine Aktion war dann unschön, wie eine Art internationaler Verkehrsunfall.
Aber wie mache ich das dem amerikanischen Volk klar? fragte sich der Präsident. In einem Wahljahr? Bestätigt einen Präsidenten in seinem Amt, der gerade eine Mutter, zwei Kinder und mehrere Hausangestellte getötet hat, um eure Kinder vor Drogen zu schützen? Der Präsident fragte sich, ob Gouverneur Fowler wohl verstand, daß die Macht des Präsidenten weitgehend Illusion war - und ob er auch wußte, was es für einen scheußlichen Lärm gab, wenn Prinzipien hart aufeinanderprallten. Noch schlimmer als der Krach der Reporter,
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