06 - Der Schattenkrieg
dachte er und ging kopfschüttelnd hinaus zu seinem Hubschrauber. An der Treppe stand ein Posten der Marines und salutierte. Der Präsident erwiderte den Gruß eine Tradition trotz der Tatsache, daß kein amtierender Präsident je Uniform getragen hatte. Er schnallte sich an und schaute zurück zu dem versammelten Mob. Die Kameras waren noch auf ihn gerichtet, nahmen den Start auf. Die Fernsehanstalten würden diese Einstellung natürlich nicht senden, aber für den Fall, daß der Hubschrauber explodierte oder abstürzte, mußten die Kameras laufen.
Die Nachricht drang mit einiger Verspätung zur Polizei von Mobile durch. Ein Verwaltungsbeamter beim Gericht bearbeitete die Akten und war empört. Wie konnte Staatsanwalt Davidoff, ein aufrechter Streiter für die Gerechtigkeit, sich auf einen solchen Kuhhandel einlassen und die beiden Seeräuber, Mörder und Vergewaltiger mit Haft davonkommen lassen? Dieser Abschaum sollte seiner gerechten Strafe entgehen?
Er sah die Fälle kommen und gehen. Er war Mitte fünfzig, hatte seine Kinder durchs College gebracht und von der Drogenepidemie ferngehalten. Doch nicht jedes Kind in seiner Nachbarschaft war dieser Gefahr entgangen. Der Jüngste der Familie im Nebenhaus zum Beispiel hatte sich einen »Rock« Crack gekauft und war prompt mit Tempo hundertsechzig gegen eine Brückenmauer geprallt. Der Justizbeamte hatte das Kind aufwachsen gesehen, es ein- oder zweimal in die Schule gefahren und sich von ihm gegen Bezahlung den Rasen mähen lassen. Vor der Zeremonie in der Baptistenkirche Cypress Hill hatte man den Sarg schließen müssen, und er hatte gehört, die Mutter, die die Überreste hatte identifizieren müssen, stünde noch unter dem Einfluß von
Beruhigungsmitteln. Der Geistliche hatte Drogen eine Geißel genannt und mit der Versuchung Christi verglichen. Er war ein guter Geistlicher und machtvoller Redner in der Tradition der Südstaaten-Baptisten, und als er das Gebet für die Seele des toten Jungen sprach, verstärkte sein persönlicher und aufrichtiger Zorn nur die Empörung, die seine Gemeinde bereits empfand. Der Verwaltungsbeamte war Bars nicht gewöhnt. Als Baptist, der seinen Glauben ernst nahm, trank er nie Spirituosen und hatte Bier nur als Junge einmal auf eine Wette hin probiert; seitdem plagten ihn Schuldgefühle. Dies war ein Charakterzug des anständigen und ehrbaren Bürgers. Der andere war sein Gerechtigkeitsgefühl. Er glaubte ans Recht, so wie er an Gott glaubte, und diesen Glauben hatte er sich während seiner dreißigjährigen Dienstzeit an Bundesgerichten irgendwie bewahrt. Die Gerechtigkeit, glaubte er, kam von Gott, nicht vom Menschen. Und die Gesetze auch. Basierten nicht alle Gesetze der westlichen Welt auf der Heiligen Schrift? Die Verfassung seines Landes verehrte er als von Gott inspiriertes Dokument, denn ein Leben in Freiheit für den Menschen entsprach sicher dem Willen des Herrn, damit der Mensch nicht als Sklave seinen Gott fand und ihm diente, sondern sich aus freiem Willen zum Guten entschied. Schlimm war nur, daß das Gute nicht immer siegte. Im Lauf der Jahre hatte er sich daran gewöhnt. Die Sache war zwar frustrierend, aber er wußte, daß beim Jüngsten Gericht die Gerechtigkeit siegen würde. Nur manchmal mußte der Gerechtigkeit des Herrn ein wenig nachgeholfen werden, und es war gut gefügt, daß Gott sich seine Instrumente durch den Glauben wählte. Und so geschah es an diesem heißen schwülen Nachmittag in Alabama. Der Justizbeamte hatte seinen Glauben, und Gott sein Instrument.
Der Beamte befand sich in einer von Polizisten frequentierten Bar, nur einen halben Block vom Präsidium entfernt, und trank ein Mineralwasser. Die Polizisten wußten natürlich, wer er war. Immer, wenn ein Polizist beerdigt wurde, war er zur Stelle. Er stand einem Bürgerkomitee vor, das für die Familien von im Dienst ums Leben gekommenen Polizisten und Feuerwehrleuten sorgte. Und nie hatte er eine Gegenleistung verlangt, niemals gebeten, einen Strafzettel verschwinden zu lassen er hatte in seinem ganzen Leben keinen bekommen.
»Tag, Bill«, sagte er zu einem Mann von der Mordkommission. »Na, wie geht’s?« fragte der Lieutenant, dem der religiöse Fundamentalismus des Verwaltungsbeamten nicht ganz geheuer war. »Ich habe etwas erfahren, das auch Sie angeht.«
»So?« Der Lieutenant schaute von seinem Bier auf und hoffte nur, daß jetzt keine Predigt kam. »Die ‹Piraten› sollen mit einer Haftstrafe davonkommen.«
»Wie bitte?« Er hatte mit
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