06 - Der Schattenkrieg
der Boden feucht und weich sein; Laub und Zweige raschelten und knackten dann nicht mehr unter den Sohlen. Die hohe Luftfeuchtigkeit schluckte Schall. Die unfähigen Clowns, die sie beobachtet hatten, konnten sich daher dem Vorposten viel weiter nähern, ehe sie bemerkt wurden. Andererseits konnte sich der Zug dann notfalls auch rascher absetzen. Wie immer war die Umwelt neutral, verschaffte nur jenen Vorteile, die sie zu ergreifen wußten, und erlegte manchmal beiden Seiten Handicaps auf.
Im Lauf des Nachmittags fielen mehrere Zentimeter Regen. Einmal schlug der Blitz nur hundert Meter von den beiden Sergeants mit Knall und grellem Licht ein; diese Erfahrung war neu und ebenso furchteinflößend wie Artilleriebeschuß. Danach war es nur noch unangenehm naßkalt, denn die Temperatur fiel auf zehn Grad.
»Ding, sieh mal, vorne links«, flüsterte Guerra. »Scheiße!« Chavez brauchte nicht erst zu fragen, wie die Kerle es geschafft hatten, so dicht heranzukommen. Ihr Gehör war noch von dem Donnerschlag beeinträchtigt, und der Boden war durchweicht. Keine zweihundert Meter von ihnen entfernt standen zwei Männer.
»Sechs, hier Punkt. Zwei Gegner zweihundert Meter südöstlich von uns«, meldete Guerra seinem Captain. »Bereithalten, Over.«
»Roger, wir halten uns bereit«, bestätigte Ramirez. »Ruhe bewahren, Paco.«
Guerra drückte zur Antwort auf den Sendeknopf. Chavez brachte ganz langsam seine Waffe in Feuerstellung und ließ sie gesichert, legte aber den Daumen auf den Sicherungshebel. Er wußte, daß sie so gut wie unsichtbar waren, getarnt von Stauden und jungen Bäumen. Jeder Mann trug Kriegsbemalung und war selbst aus fünfzig Meter Entfernung nicht von der Umgebung zu unterscheiden. Sie mußten stillhalten, denn das menschliche Auge nimmt Bewegung sofort wahr; doch solange sie das taten, waren sie nicht auszumachen. Hier wurde praktisch demonstriert, warum die Army solchen Wert auf Disziplin legt. Die beiden Sergeants hätten nun lieber ihre CamouflageKampfanzüge getragen, aber es war zu spät, sich darüber Sorgen zu machen, und ihre Khakiuniformen waren ohnehin schlammverschmiert. Auf eine unausgesprochene Abmachung hin konzentrierte sich jeder auf einen Sektor; auf diese Weise brauchten sie die Köpfe so gut wie nicht zu wenden. Nur wenn es unbedingt erforderlich war, verständigten sie sich flüsternd. »Ich hör was hinter uns«, zischelte Chavez zehn Minuten später. »Sieh besser mal nach«, erwiderte Guerra. Ding drehte sich ganz langsam um. »Verflucht.« Mehrere Männer rollten Schlafsäcke auf dem Boden aus. »Die richten sich für die Nacht ein.«
Nun war klar, was sich zugetragen hatte. Der Gegner hatte weiter das Gelände durchkämmt und dann beschlossen, ausgerechnet um ihren Beobachtungsposten herum sein Nachtquartier aufzuschlagen. Nun konnten sie über zwanzig Mann sehen und hören.
»Das wird eine angenehme Nacht«, flüsterte Guerra. »Und ich muß ausgerechnet pissen«, versetzte Ding und sah zum Himmel. Es tröpfelte nur noch, aber die Bewölkung war noch immer dicht. Es würde heute früher dunkel werden, in zwei Stunden vielleicht.
Der Feind hatte sich in drei Gruppen aufgespalten, was nicht dumm war. Andererseits zündete jede Gruppe ein Lagerfeuer an, und das war ein Fehler. Außerdem waren die Männer laut und unterhielten sich, als säßen sie in ihrem Dorf in einer cantina. Glück für Chavez und Guerra, denn nun waren sie in der Lage, ihr Funkgerät noch einmal zu benutzen.
»Sechs, hier Punkt, Over.«
»Hier sechs.«
»Der Gegner hat sein Lager um uns herum aufgeschlagen«, meldete Chavez, »uns aber noch nicht bemerkt.«
»Was haben Sie vor?«
»Wir unternehmen erst mal nichts. Vielleicht können wir verschwinden, wenn es dunkel ist. Wir sagen dann Bescheid.«
»Roger. Out.«
»So einfach verschwinden?« wisperte Guerra. »Kein Grund, ihn in Panik zu versetzen, Paco.« »He, ’mano, mir geht der Arsch auf Grundeis.«
»Das hilft dir auch nicht weiter.«
Noch immer keine Antworten auf seine Fragen. Ryan verließ nach einem scheinbar normalen Arbeitstag, in dessen Verlauf er Korrespondenz und Berichte aufgearbeitet hatte, sein Büro. Viel erledigt hatte er allerdings nicht, denn zu viele Gedanken hatten sich aufgedrängt und seine Konzentration gestört.
Er wies seinen Chauffeur an, ihn nach Bethesda zu fahren. Er hatte sich zwar nicht angemeldet, doch das war nicht ungewöhnlich. Die VIP-Suite im Krankenhaus wurde zwar nach wie vor scharf bewacht, aber die Beamten kannten
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