06 - Der Schattenkrieg
fühlten sich in der Finsternis völlig zu Hause. Die Nacht war ihr bester und mächtigster Freund. Alle Sinne, Instinkte und Empfindungen des Menschen, der von Natur aus ein Tagtier ist, funktionierten am besten im Licht, und sein Biorhythmus bewirkte auch, daß er nachts weniger einsatzfähig war es sei denn, er hatte sich so hart bemüht, dieses Manko zu überwinden, wie diese Soldaten hier. Selbst die naturverbundenen Indianer hatten die Nacht gefürchtet und so gut wie nie im Dunkeln gekämpft; sogar ihre Lager hatten sie nachts nicht bewacht und so der alten US-Army Gelegenheit zur Entwicklung einer Nachtkampf-Doktrin gegeben. Wer nachts ein Feuer anzündet, tut das nicht nur der Wärme wegen, sondern auch, um sehen zu können; in Wirklichkeit reduziert er dabei seine Sichtweite auf wenige Meter. Das geübte menschliche Auge hingegen sieht in der Dunkelheit ziemlich gut.
»Nur fünf?«
»Mehr konnte ich nicht zählen, Sir.« Ramirez nickte und winkte zwei weitere Männer nach vorn. Einige leise Befehle wurden gegeben. Dann schlug er sich mit den beiden anderen nach rechts, um an eine Stelle über dem Lager zu gelangen. Chavez ging wieder nach vorn. Er hatte die Aufgabe, den Wachposten auszuschalten, zusammen mit seinem am Feuer dösenden Kameraden. Geräuschloses Vorankommen ist in der Dunkelheit schwieriger als Sehen. Er trat behutsam auf, tastete nach Dingen, die abrutschen oder knacken konnten das menschliche Gehör wird oft unterschätzt. Bei Tageslicht hätte seine Fortbewegungsweise komisch gewirkt. Am schlimmsten war, daß er nur langsam vorankam; Chavez war ein junger Mann, zu dessen Tugenden die Geduld nicht gehörte. Er ging gebückt vor, hielt die Waffe im Anschlag, um gegen Überraschungen gefeit zu sein, und als der Augenblick gekommen war, schien ein elektrischer Strom durch seine Haut zu fließen; alle seine Sinne waren gespannt. Langsam drehte er den Kopf nach rechts, dann nach links; er faßte nichts scharf ins Auge, denn Gegenstände, die man in der Dunkelheit anstarrt, haben die Neigung, nach wenigen Sekunden unsichtbar zu werden.
Etwas beunruhigte Chavez, aber er wußte nicht, was es war. Er blieb kurz stehen, schaute sich um, richtete alle seine Sinne für dreißig Sekunden nach links. Nichts. Zum ersten Mal in dieser Nacht sehnte er sich nach seinem Sichtgerät. Ding zuckte die Achseln. Vielleicht war es ein Eichhörnchen gewesen oder ein anderes Tier, das nachts auf Nahrungssuche ging. Jedenfalls kein Mensch. Niemand bewegt sich im Dunkeln so lautlos wie ein Ninja, sagte er sich mit einem Lächeln und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Wenige Minuten später hatte er seine Position erreicht, hinter einer schmächtigen Tanne, und war behutsam in die Knie gegangen. Chavez klappte den Deckel vom grünen Zifferblatt seiner Digitaluhr und wartete den vereinbarten Moment ab. Da war der Wachposten, der im Kreis um das Feuer marschierte, sich nie weiter als zehn Meter von ihm entfernte und bemüht war, nicht in die Flammen zu schauen, um seine Nachtsicht nicht zu reduzieren. Doch der von Felsen und Bäumen zurückgeworfene Feuerschein mußte seine
Wahrnehmungsfähigkeit doch getrübt haben, denn er blickte Chavez zweimal direkt an, ohne ihn zu sehen.
Es war soweit. Chavez hob seine MP-5 und schoß dem Mann eine Kugel in die Brust. Der Getroffene verzog beim Einschlag das Gesicht, schlug die Hände auf die getroffene Stelle und fiel mit einem Ausruf der Überraschung zu Boden. Die MP-5 verursachte nur ein leises metallisches Klacken, als sei ein kleiner Stein gegen einen anderen gerollt, aber das Geräusch war dennoch ungewöhnlich. Der Schläfrige am Feuer begann sich umzudrehen, wurde aber getroffen, noch ehe er die Bewegung vollenden konnte. Chavez sah sich im Vorteil und legte gerade die Waffe auf einen der Schlafenden an, als das unverkennbare Rattern von Julios automatischer Waffe die drei aus ihrem Schlummer riß. Alle sprangen hoch und waren schon tot, ehe sie richtig auf die Beine kamen.
»Wo kommst du denn her?« fragte der »tote« Wachposten empört. Die Stelle an seiner Brust, wo ihn das Wachsgeschoß getroffen hatte, schmerzte. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, standen Ramirez und die anderen schon im Lager.
»Gut gemacht, Junge«, sagte jemand hinter Chavez, und eine Hand fiel auf seine Schulter. Chavez fuhr vor Schreck fast aus den Kleidern, als der Mann an ihm vorbei zum Lagerfeuer ging. »Kommen Sie mit.«
Ein verdatterter Chavez folgte dem Mann und sicherte dabei seine
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