06 - Ein echter Snob
Absicht, Joseph zu erzählen, dass er die
Aufmerksamkeit von Lady Charteris, dieser mit allzuviel Rötelstift bemalten
alten Vettel, auf sich gezogen hatte und dass es Mylady war, die vorgeschlagen
hatte, Joseph als ersten Lakaien einzustellen.
Im Gegensatz zu den anderen war
Joseph durchaus mit seinem Leben als Diener zufrieden. Ihn störte nur, dass er
in dieser demokratischen Gesindestube in der Clarges Street nicht das Ansehen
genoß, das ihm zustand. Aber in einem Haus wie dem von Lord Charteris würde er
von den anderen Dienern mit allem Respekt, den sie seiner Stellung schuldeten,
behandelt werden. Er würde von den unteren Dienern bedient werden. Lord und
Lady Charteris hatten zahlreiche gesellschaftliche Verpflichtungen, und Lady
Charteris liebte es, den ranghöchsten Lakaien immer dienstbereit um sich zu
haben. Das Gasthaus soll doch der Teufel holen, dachte Joseph. Er würde
gezwungen sein, seine Hände zu ruinieren, und unter dem zugleich liebevollen
und verächtlichen Blick Rainbirds leiden und mit ansehen müssen, wie sich
Lizzie zusehends weiter von ihm entfernte — wie eine lange Reihe von Büchern
sie ihm mehr und mehr entfremdete. Wie viele Angehörige der feinsten Kreise
war auch Joseph der Meinung, dass Erziehung und Bildung für die niederen
Stände eine gefährliche Sache seien.
»Wenn ich nur könnte«, sagte er.
»Wie habt ihr euch denn das mit
diesem Gasthaus gedacht?« fragte Blenkinsop.
»Nun, wir sind alle
gleichberechtigte Partner«, antwortete Joseph.
»Das ist sehr fair von John
Rainbird.«
»Ich glaube schon«, sagte Joseph
widerstrebend. »Aber ich hasse das Land, und dieses Gasthaus ist in Highgate«,
sagte er in einem Ton, als ob Highgate in der Äußeren Mongolei läge.
»Du bist wie ich, Junge.« Blenkinsop
seufzte. »Mir gefällt das Leben in London. Im Winter gehen wir aufs Land, vergiss
das nicht. Aber man behandelt uns gut, und kein Mensch erwartet von uns, dass
wir uns vors Haus wagen. Sie haben genug Leute für die Außenarbeiten. Außerdem
gehe ich bald in den Ruhestand, und dann wird mein Posten frei. Es wäre schön,
wenn ich meinen Nachfolger noch einarbeiten könnte.«
Josephs runde Augen wurden noch
runder.
»Überleg einmal«, sagte Blenkinsop.
»Du könntest ihnen trotzdem deinen Anteil an dem Geld überlassen. Wenn das Gasthaus
gut läuft, dann sollen sie für dich etwas auf die hohe Kante legen. Betrachte
es als Geldanlage. Sie brauchen dich nicht. Wie es aussieht, sind genug andere
da, die es betreiben können.«
Mrs. Middleton spazierte gemächlich mit
dem Koch Angus Mac-Gregor an der Serpentine entlang. Obwohl ihr die Vorstellung
von einem eigenen Gasthaus außerordentlich gut gefiel, ließ sie doch einen ganz
großen Wunsch unerfüllt. Das »Mrs.« war nämlich nur ein Höflichkeitstitel.
Mrs. Middleton war die Tochter eines verarmten Landpfarrers und nie
verheiratet gewesen. Sie hatte lange davon geträumt, Mr. John Rainbird zu
heiraten, wenn sie alle frei und unabhängig waren. Aber Mr. Rainbird — sie
gestand es sich mit einem Seufzer — ließ keinerlei Anzeichen erkennen, dass er
den Wunsch hegte, sie oder überhaupt zu heiraten.
Zumindest nicht mehr. Nicht seit der
Blamage, als er sich in eine nichtsnutzige französische Kammerzofe verliebt
hatte, die ihn nicht einmal gewollt hatte.
»Tja, jetzt werden wir bald frei
sein«, hörte sie Angus Mac-Gregor sagen.
»Ja, es kommt einem ganz seltsam
vor«, sagte sie. »Ich habe einmal eine Geschichte von einem Mann gelesen, der
Jahre im Schuldturm verbracht hatte, und als Freunde schließlich das Geld
aufbrachten, um ihn freizubekommen, war er so verwirrt und verloren in der Welt
draußen, dass er so lange Spielschulden machte, bis er wieder zurück im
Gefängnis war. Ich frage mich, ob es mir auch so ergehen wird.«
»Ich möchte nicht mit einer Dame
verheiratet sein, die sich danach sehnt, ihr Leben lang eine Dienstmagd zu
bleiben«, sagte der Koch ernst.
»Was!« rief Mrs. Middleton, die so
schockiert war, dass sie ihre guten Manieren vergaß.
»Ich bin ein fürchterlicher
Hitzkopf«, sagte der Koch bekümmert, »und ich packe vieles falsch an. Aber
lassen Sie mich sehen, ob ich es dieses eine Mal richtig mache.«
Er setzte die verdutzte Haushälterin
auf eine Parkbank neben der spiegelnden Wasserfläche des Teichs, zog ein
sauberes Taschentuch heraus, legte es auf den Boden und kniete sich auf einem
Knie vor ihr nieder.
»Mrs. Middleton«, sagte Angus
MacGregor, »wollen Sie mich
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