06 - Ein echter Snob
kleine
Küchenmädchen. Ich erinnere mich.«
Lizzie schlug die Augen nieder.
Irgendwie hatte der Ausdruck »kleines Küchenmädchen« ihre sämtlichen Träume zerschlagen.
Sie nahm sich zusammen. »Es tut mir
leid, dass Ihr Herr gestorben ist.«
Mr. Gendreau breitete die Arme aus
und zuckte mit den Achseln. »Er war sehr alt, und es war zu erwarten. Ihre
Augen sehen traurig aus. Warum? Doch nicht meinetwegen, hoffe ich. Mylord hat
mir ein hübsches Sümmchen in seinem Testament hinterlassen. Voilà! Vor Ihnen
steht jetzt Paul Gendreau, Gentleman.«
»Das freut mich für Sie«, sagte
Lizzie leise. Sie machte Anstalten wegzugehen. Dieser temperamentvolle und
zuversichtliche Mr. Gendreau war nicht der stille, aufmerksame Kammerdiener,
den sie in Erinnerung hatte. Er ging neben ihr her.
»Und warum haben Sie heute einen
freien Tag, Miss O'Brien?«
»Sie erinnern sich an meinen Namen?«
rief Lizzie aus.
»Ja, natürlich.«
»Der Besitzer des Hauses, in dem ich
arbeite, der Herzog von
Pelham, wohnt jetzt selbst da. Er
hat uns heute freigegeben.« »Ein ungewöhnlicher Aristokrat. Normalerweise
gefällt ihnen
die Vorstellung, dass wir schuften,
während sie sich amüsieren.« »War Ihr Herr so einer?«
»Ganz und gar. Er war ein
französischer Aristokrat der alten Schule. Ich bin Anhänger der Monarchie, aber
manchmal pflegte ich ihn anzuschauen und zu mir zu sagen: Jetzt verstehe ich,
warum in Frankreich eine Revolution stattgefunden hat.«
Sie waren an der Ecke des Manchester
Square angekommen. Lizzie machte wieder einen Knicks. »Leben Sie wohl, Mr. Gendreau«,
sagte sie höflich. »Ich habe mich gefreut, Sie wiederzusehen.«
»Leben Sie wohl!« machte er sie
nach. »Hier stehen wir an einem schönen Tag, und beide haben wir frei. Unsinn!
Wir gehen zu Gunter und essen Eis.«
»Gunter!« quietschte Lizzie. »Nur
Ladys und Gentlemen gehen zu Gunter.« Gunter war die berühmte Konditorei am
Berkeley Square.
»Aber Sie tragen ein elegantes
Kleid, und ich, ich bin ebenfalls wie ein Gentleman gekleidet. Ich habe
jahrelang eisern gespart, und jetzt brauche ich meine Ersparnisse nicht, weil
mir Mylord genug Geld hinterlassen hat. Kommen Sie, Miss O'Brien.«
Er versuchte, Lizzie zum Sprechen zu
verleiten, als sie die Oxford Street überquerten, aber Lizzie war überzeugt
davon, dass sie aufgefordert würden, die Konditorei zu verlassen, sobald sie
bei Gunter eintraten. Sie wurden jedoch mit aller Höflichkeit an einen Tisch
gebeten, und der belustigte Paul Gendreau bestellte für sie und sich selbst
Erdbeereis, als er sah, dass Lizzie zu verschreckt war, um den Mund
aufzubringen.
»Nun, Miss Lizzie«, sagte er,
»keiner hat vor, uns davonzujagen. Keiner schaut uns an. Sagen Sie mir, warum
Sie so traurig schauen.«
Seine klugen Augen blickten sie
warmherzig und anteilnehmend an. Lizzie begann, ihm stockend von dem Gasthaus
zu erzählen und wie ihr die Aussicht auf die Freiheit Angst einflößte und dass
sie sich oft fragte, ob die anderen sie als Mitbesitzerin des Gasthauses behandeln
oder ob sie es vergessen würden und sie weiterhin das Küchenmädchen für sie
sein würde. Von Zeit zu Zeit hörte sie auf zu sprechen, aber durch seine Fragen
angespornt fuhr sie fort, ihm auch alles von Palmer zu erzählen, von den
früheren Mietern, und dass man von ihr erwartete, dass sie Joseph heiratete, dass
sie Joseph aber nicht mehr liebte. Schließlich hielt sie verwirrt inne, da sie
in ihrem ganzen Leben noch nicht so viel über sich gesprochen hatte.
»Sie müssen den Mann heiraten, der
Ihnen gefällt«, sagte er gütig. »Als Diener dürfen wir nicht heiraten, aber
wenn wir unsere Freiheit erlangen, sollten wir uns den Luxus erlauben zu heiraten,
wen wir wollen.«
»Aber sie erwarten alle von mir, dass
ich Joseph heirate!« »Wenn Sie an den Ehestand denken«, fragte er, »was stellen
Sie sich dann vor?«
»Ich glaube, es muss Ihnen ziemlich
dumm erscheinen«, sagte Lizzie langsam und schaute ihm dabei in das angenehm
weltkluge Gesicht und in die gescheiten Augen, »aber ich habe mir immer ein
kleines Häuschen in einem Dorf gewünscht und einen Garten und ein Stück Land.
Ich habe mir immer einen Gentleman gewünscht, für den ich sorgen kann, einen,
der auch für mich sorgen würde.«
Lizzie stieß einen tiefen Seufzer
aus, und zwei große Tränen rollten ihr die Backen hinunter und fielen in die
schmelzenden Reste des Erdbeereises auf ihrem Teller. Er zog ein Taschentuch
heraus und betupfte ihre nassen Wangen
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