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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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nach und fühlte
sich ausgesprochen unbehaglich. Dann tröstete er sich mit der Hoffnung, dass
Miss Sutherland die ganze Sache vergessen würde.
    Als er die Tür zum >Running
Footman< aufstieß — und dabei ein wenig auf der Schwelle verharrte, damit
die besseren Diener in der Schenke in den vollen Genuss des Anblicks seines
Spitzentaschentuchs, der glänzenden Pumps und der weißen Seidenstrümpfe kamen
—, hatte er seine Begegnung mit Miss Sutherland schon wieder vergessen.
    »Hierher, Joseph«, rief eine
vertraute Stimme. Joseph warf sich in die Brust. Mr. Blenkinsop, der Butler von
Lord Charteris im Haus nebenan, winkte ihm zu. Nachdem er heimlich einen Blick
in die Runde geworfen hatte, um sich davon zu überzeugen, dass es den anderen
Lakaien im Pub nicht entgangen war, dass er von einem Butler eingeladen wurde,
trippelte Joseph affektiert an Blenkinsops Tisch und ließ sich graziös auf dem
Stuhl ihm gegenüber nieder.
    Mr. Blenkinsop entsprach eher dem
Bild, das sich Joseph von einem Butler machte — dick und stattlich und nicht
allzu klug. Rainbird hatte für Josephs Geschmack oft eine zu scharfe Zunge.
    »Was willst du trinken, Joseph?«
fragte Mr. Blenkinsop mit überschwänglicher Herzlichkeit.
    »Einen Grog, wenn's Ihnen recht ist,
Mr. Blenkinsop«, sagte Joseph ungeheuer geehrt, denn Butler wie Blenkinsop
erwarteten gewöhnlich, dass die niederen Ränge ihnen ein Getränk spendierten.
    Als Joseph seinen Grog hatte, sagte
Mr. Blenkinsop: »Wir haben nie mehr etwas von diesem Schurken, Luke, gehört.«
    Josephs Miene verdunkelte sich.
»Brennt mit unserem ganzen Geld einfach durch«, sagte er wütend. »Man sollte
ihn baumeln lassen.«
    Dann errötete der Lakai. Er verstand
einfach nicht, warum seine vornehme Ausdrucksweise, die er so sorgfältig
pflegte, ihn immer wieder plötzlich im Stich ließ und er wie ein Cockney redete.
    »Es wird ein böses Ende mit ihm
nehmen, keine Angst«, sagte Mr. Blenkinsop und grub die Nase in seinen Bierkrug
aus Zinn. Dann blinzelten seine schwachen Augen über den Rand des Bierkrugs
Joseph listig zu. »Wir haben keinen ersten Lakaien mehr«, fügte er hinzu.
    »Ich hab' gedacht, der nächste in
der Reihe kriegt den Posten«, sagte Joseph.
    Mr. Blenkinsop stellte seinen Krug
auf den Tisch und stieß Joseph mit dem fetten Finger vor die Brust. »Keiner
von unseren Dienern hat ihn gekriegt«, sagte er. »Ich brauche einen ersten Lakaien,
der das gewisse Etwas hat.«
    »Genau«, stimmte ihm Joseph zu.
    »Ein Kerl wie du zum Beispiel wäre
für den Posten geeignet.« »Lord Charteris würde mich nie einstellen«, sagte
Joseph. »Und ich kann Ihnen auch sagen warum, Mr. Blenkinsop, denn ich weiß, dass
Sie ein Geheimnis bewahren können. Mr. Palmer, der Verwalter des Herzogs, sagt,
er will mir ein schlechtes Zeugnis geben und es jedem Herrn erzählen, dass ich
derjenige war, der den Bischof von Burnham bestohlen hat. Aber ich war es
nicht«, sagte Joseph leidenschaftlich. »Es war seine Frau.«
    Blenkinsop lachte, ein fettes,
behäbiges Lachen. »Weiß denn nicht jeder über sie Bescheid?« fragte er. »Erst
vor ein paar Wochen hat sie Lord Charteris eine Schnupftabaksdose geklaut. Er
weiß, dass sie stiehlt.«
    »Was!« kreischte Joseph rot vor Wut.
»Ich wäre bei dem Hungerlohn, wie er niedriger für einen Lakaien kaum möglich
ist, jahrelang in diesem schäbigen Haus in der Clarges Street beinahe
draufgegangen, und das alles, weil ich gedacht habe, es weiß niemand, dass die
Frau des Bischofs stiehlt.«
    »Allzu schlecht kann es dir aber
nicht ergangen sein«, sagte Blenkinsop und musterte die teure Livree des
Lakaien anzüglich.
    »Nun gut, wir hatten Glück mit den
Mietern«, gab Joseph widerwillig zu. »Deshalb können wir uns auch alle das
Gasthaus kaufen.« Dann wurde er wieder feuerrot und bat: »Ich hätte es Ihnen
nicht sagen dürfen. Erzählen Sie es nicht Mr. Rainbird, sonst peitscht er mich
aus.«
    »Ich bin der Meinung«, sagte
Blenkinsop, »dass ein Mann wie John Rainbird die feineren Gefühle in einem
Kerl, wie du einer bist, nicht hoch genug schätzt.«
    »Das ist wahr. Sehr wahr«, sagte
Joseph.
    »Aber wenn ihr alle unabhängig
werdet und ein Gasthaus kauft, dann hat es natürlich keinen Sinn, dir eine
Stellung anzubieten.«
    »Es ist sehr verlockend«, meinte
Joseph. »Ich wäre gerne ein erster Lakai.«
    Blenkinsop lehnte sich in seinem
Sessel zurück und beobachtete den Kampf, der sich hinter Josephs großen blauen
Augen abspielte. Er hatte nicht die

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