06 - Prophet der Apokalypse
und zeigte Maria Luisa die Skizze eines dreigeteilten Armreifs.
»Und was genau meint er mit diesem ›sichersten Ort der Welt‹?«, fragte sie.
Tom seufzte. »Deutlicher wird er leider nicht. Aber er beschreibt den Gegenstand als einen magischen Schlüssel. Also wird es sich wohl um ein Haus oder ein Zimmer handeln.«
Maria Luisa rückte in eine bequemere Position. »Meinst du denn, dass es das Grab noch gibt? Gräber werden doch ständig geplündert, vor allem in Ägypten und Mexiko.«
»Das hoffe es nicht«, hielt Tom dagegen. »Dagegen spricht, dass man sicher schon in Fachkreisen – zu denen ich mich zähle – von dem Armreif gehört hätte, wäre er bereits gefunden worden.«
»Aber von dem Artefakt, das du da am Gürtel trägst, hast du auch erst durch eine Verkettung von tragischen Geschehnissen erfahren – zufällig also.«
Tom Ericson musste sich eingestehen, dass sie damit recht hatte. Er nickte.
»Wer war der Tote?«, fragte Maria Luisa.
»Ein Prophet der Maya und Sohn des früheren Kaziken, in dessen Fußstapfen später de Landa trat. Sein Name lautet Ts’onot.« Tom zog die Stirn kraus. »Diese drei – Ah Ahaual, Ts’onot und Diego de Landa – hatten ganz offensichtlich Kontakt zu einem Mann in Weiß, der die Maya für seine Ziele einspannen wollte.«
»Davon hast du schon erzählt«, erinnerte sich Maria Luisa. »Es ging um diese Maschine, richtig?«
Wieder nickte Tom und freute sich über ihren wachen Geist. »Aber sie haben ihm den Gefallen nicht getan und mussten schwer dafür büßen«, fuhr er fort. »Die Überfälle der Spanier unter Francisco Hernández de Córdoba waren nicht nur von Goldgier geprägt, sondern sollten offenbar auch dazu dienen, den Maya die Einzelteile dieser Maschine abzunehmen, die sie für den Mann in Weiß gefertigt hatten. De Landa beschreibt, wie jener Ts’onot unter der Folter der Spanier die Verstecke preisgab.«
»Aber warum haben die Maya ihm überhaupt geholfen, wenn sie doch nicht wollten, dass die Maschine zusammengesetzt wird?«, fragte die junge Spanierin.
»Die Informationen der paar Seiten sind nicht besonders ergiebig«, sagte Tom, »aber es scheint, als hätte dieser Ts’onot über große seherische Fähigkeiten verfügt. Als er mit einer Zukunftsschau herausfand, dass die Maschine dem Zweck dienen sollte, die Welt zu zerstören, stellten sich die Maya gegen den ›Weißen‹, wie sie ihn nannten.«
»Seherische Talente …« Maria Luisas Miene ließ wenig Zweifel, wie skeptisch sie solchen Dingen gegenüberstand. Obwohl sie inzwischen den Himmelsstein kannte, der von einem Dunkelfeld umgeben war und den ihre Großmutter trotz ihrer Blindheit als Einzige zu sehen vermochte.
»Und wie kamen de Landa und Ts’onot an diesen ›Schlüssel‹?«, fragte sie weiter.
»Auch darüber geben die wenigen Seiten keine Auskunft. – Ich hoffe, wir finden das Grab und können das Puzzle dann zusammensetzen.«
Maria Luisa vertiefte sich wieder in die Skizze des Armreifs. »Ich kenne Maya-Schmuck … na ja, zumindest das, was man in Bildbänden und im Schaufenster eines Juweliers so sieht – aber das hier sieht irgendwie anders aus.«
Tom Ericson gab ihr recht. »Anders als alles, was mir je untergekommen ist – was es noch interessanter macht.«
Maria Luisa schien zu warten, dass er ihr weitere Details aus der Hinterlassenschaft des Diego de Landa verriet.
Er beschränkte sich auf den einzigen Punkt von Bedeutung, der noch nicht angesprochen worden war. »Die Lage des Grabes wird von de Landa explizit beschrieben. Damit …«, er tippte auf die jahrhundertealten Seiten, »… dürfte es ein Leichtes sein, es auch nach all der Zeit noch zu finden. Es wurde weit außerhalb des damaligen Ah Kin Pech angelegt, im Dschungel. Was gut ist, denn über den Ruinen der ehemaligen Maya-Stadt erhebt sich das heutige Campeche. Da hätte man es entweder bei Ausschachtungsarbeiten längst entdeckt – oder es läge unter Tonnen von Beton begraben.«
***
Die wenigen Stunden Schlaf, die sich an die Übersetzung des De-Landa-Dokuments anschlossen, gerieten zur Schwerstarbeit für Toms Unterbewusstsein. Als er am Morgen erwachte, fühlte er sich wie gerädert von den Träumen, die ihn heimgesucht hatten. Sie waren alle nur um das Grab im Dschungel gekreist und um die Frage, wie er dorthin gelangen konnte.
Die Erwähnung eines Ortes, den Diego de Landa als den »wohl sichersten der Welt« bezeichnete und der nur mit einem »Schlüssel« in Form eines
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