06 - Weihnacht
Mundarten durcheinander. Das erregte endlich doch unsern Verdacht. Wenn sie durch diesen Mischmasch ihre Stammesangehörigkeit verbergen wollten, mußten sie annehmen, daß sie belauscht wurden. Und war dies der Fall, so hatten sie Kenntnis von unserer Anwesenheit. Es galt also, doppelt vorsichtig zu sein. Eben wollte ich Winnetou diese meine Ansicht mitteilen, da stieß er mich an und flüsterte mir zu:
„Wir sind in Gefahr. Mein Bruder Scharlih mag sofort zu unsern Gefährten zurückkehren, um sie, wenn es nötig werden sollte, zu beschützen, bis ich nachfolge.“
„Du gehst nicht mit?“
„Nein. Winnetou wird diese listigen Männer umschleichen, bis er weiß, wer sie sind und warum sie sich verstellen.“
„So bitte ich aber, dich ja dreifach in acht zu nehmen!“
„Uff!“ antwortete er nur, dann war er verschwunden.
Sein verwundertes ‚Uff!‘ war sehr begründet, denn einen Winnetou zur Vorsicht zu mahnen, das konnte nur als eine geradezu lächerliche Überflüssigkeit bezeichnet werden.
Ich ging zurück, bis ich unsere Pferde erreichte. Winnetous Iltschi mußte ich für ihn stehen lassen; meinen Hatatitla band ich los, stieg auf und durchquerte den Fluß. Drüben ritt ich ein Stück abwärts und stieg dann wieder ab, um ihn leise bis dahin zu führen, wo er vorher angehobbelt gewesen war. Die beiden andern Pferde standen ruhig grasend da, und Rost und Carpio saßen an ihren Stellen; es gab nichts, was mich auf die Vermutung hätte bringen können, daß für den Augenblick eine Gefahr vorhanden sei.
„Ist etwas geschehen?“ erkundigte ich mich.
„Nein, nein“, antworteten beide.
„Es gab kein verdächtiges Geräusch?“
„Nein“, antwortete Rost.
Und Carpio sagte:
„Setz dich her zu mir! Ich habe dir etwas zu sagen.“
„Was?“
„Etwas, worüber du dich freuen wirst. Komm nur her!“
„Gut! Vorher aber muß ich euch sagen, daß diese Gegend nicht so ungefährlich ist, wie wir dachten. Sprecht ganz leise! Also, was hast du mir zu sagen, lieber Carpio?“
Während ich diese Worte sprach, setzte ich mich neben ihn nieder. Kaum aber war dies geschehen, so bekam ich einen Hieb auf den Kopf, daß ich vollends hintenüberflog.
„Schi motahr ho tli!“ konnte ich noch mit schriller Stimme rufen, dann schwand mir die Besinnung.
Diese apatschischen Worte bedeuten ungefähr ‚Mir naht der Tod!‘ Das war der zwischen Winnetou und mir verabredete Ruf, falls sich einer von uns in Todesgefahr befinden sollte. Er hatte ihn gehört und sich danach verhalten, wie ich später erfuhr. Er hatte höchstwahrscheinlich diesem Hilferuf seine Freiheit zu verdanken.
Als ich wieder zu mir kam, sah ich trotz der Dunkelheit eine Menge Menschen um mich her; einige von ihnen waren bemüht, ein Feuer anzuzünden. Ich fühlte, daß man mich an Händen und Füßen gebunden hatte.
Das Feuer flackerte auf, und bei seinem Scheine bemerkte ich, daß ich zwischen Rost und Carpio lag, die auch gefesselt waren. Wir lagen am Rande des Gebüsches. Vor uns saß ein Halbkreis von Indianern. Seitwärts von uns lagen noch andere Gefangene, auch Weiße, wie es schien; ihre Gesichter konnte ich nicht erkennen. Neben Carpio sah ich meinen Bärentöter, den Henrystutzen und Winnetous Silberbüchse im Grase; diese Gewehre waren noch gar nicht beachtet worden. Winnetou war nicht gefangen, hatte aber seine Büchse nicht! Eben dachte ich, wie jammerschade es sei, daß – – –
„Uff, uff, uff, uff, uff!“ erscholl es da von allen indianischen Lippen. Die Indsmen sprangen auf und wollten zugreifen, kamen aber zu spät. Mein unvergleichlicher Winnetou hatte sich herbeigeschlichen und mit einem kühnen Sprunge in den Halbkreis geschnellt. Die drei Gewehre fassen und mit ihnen wieder durch die Roten fort, das war für ihn das Werk eines Augenblickes. Alles schrie und rannte hinter ihm her, doch ohne ihn zu erreichen. Er hatte sein Pferd in die Nähe gebracht, schwang sich auf und jagte, indem er den Siegesruf der Apatschen erschallen ließ, in die westliche Prärie hinein.
VIERTES KAPITEL
‚Sti-i-poka‘ (‚Auf Tod oder Leben‘)
Lieber Leser, hast du schon einmal einen Kolbenhieb auf den Kopf bekommen, aber einen so recht aus dem tiefsten Herzensgrunde? Nicht? Wohl dir! Oder doch? Dann wehe dir!
Mir wenigstens war es gar nicht wohl, als ich hier am lieben Fleischwasser im Grase lag und meinen Kopf viel deutlicher fühlte, als es eigentlich nötig war. Ich habe schon früher irgendwo einmal das Gefühl
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