06 - Weihnacht
mich als Feinde, weil wir uns früher einmal gegen einige von ihnen unserer Haut hatten wehren müssen, und so konnten wir mit Bestimmtheit annehmen, daß sie sich wie Bluthunde auf unsere Spur werfen und uns verfolgen würden, um uns lebendig oder tot in ihre Hände zu bekommen. Darum blieben wir nicht diesseits des Fleischwassers, sondern wir gingen über dasselbe an das andere Ufer, wo wir eine zum Lagern sehr gut geeignete Stelle fanden, von welcher aus wir das östliche Ufer, von dem wir herübergekommen waren, zwar nicht sehen, aber das Geräusch einer dort ankommenden Reiterschar doch hören konnten. Das Wasser begrenzte ein fast undurchdringliches Buschwerk, hinter welchem es eine halbkreisförmige freie Grasstelle gab, wo wir unsere Pferde anhobbelten und uns niederlegten. Die Vorsicht verbot uns, ein Feuer anzustecken, was uns aber in Beziehung auf das Abendessen zu keinem Verzichte zwang, weil wir vom Mittag her Fleisch übrig hatten. In anderer Beziehung hätten wir freilich sehr gewünscht, ein Feuer brennen zu dürfen, weil hier oben die Nächte in dieser vorgeschrittenen Jahreszeit schon recht kalt waren. Wenigstens für Carpio wäre es wünschenswert gewesen, daß er sich hätte wärmen können. Er war so müde, daß er, sobald er gegessen hatte, sofort einschlief.
Wir andern blieben noch ungefähr zwei Stunden wach; dann mußten wir auch an die notwendige Ruhe denken. Da eine doch vielleicht nahende Gefahr jetzt noch nicht zu erwarten war, sollte Rost die erste Wache übernehmen und dann die ganze Nacht schlafen dürfen, in die ich mich mit Winnetou teilen wollte. Wir beide wickelten uns also in unsere Decken und schliefen auch schnell ein.
Nach Rost war ich an der Reihe. Als er mich weckte, sagte er mir, daß er auch nicht das geringste verdächtige Geräusch gehört habe. Ich verließ mich aber nicht ganz auf diese seine Versicherung und suchte die Umgebung des Lagers sorgfältig ab, leider bloß die nächste Umgebung. Warum leider, das sollte sich bald darauf zeigen.
Weil es kalt war, setzte ich mich nicht nieder, sondern ging im weichen Grase leise hin und her. Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, als ich den Klang von Stimmen hörte, welche vom andern Ufer herüberschallten. Ich weckte Winnetou. Wir lauschten. Es waren indianische Laute, doch konnten wir nicht verstehen, welcher Sprache sie angehörten. Es war unbedingt notwendig, uns hinüber zu begeben, um diese Indsmen zu beschleichen. Die Möglichkeit, daß es freundliche Schoschonen waren, konnte nicht als ausgeschlossen betrachtet werden. Hatten wir es aber mit Blutindianern zu tun, so waren wir zum augenblicklichen Aufbruche gezwungen.
Da es bei der jetzigen Kälte keine Annehmlichkeit war, bis unter die Arme im Wasser zu gehen, entschieden wir uns dafür, durch den Fluß zu reiten. Natürlich mußten wir dazu eine so weit aufwärts liegende Stelle suchen, daß das von den Pferden verursachte Stampfen und Plätschern nicht gehört werden konnte. Wir weckten also Rost und Carpio, was wir wegen der Nähe der Gefahr nicht unterlassen durften, schärften ihnen ein, sich ganz ruhig zu verhalten und sich auf keinen Fall zu entfernen, und führten dann unsere Pferde leise fort, um erst in sicherer Entfernung aufzusteigen. Dann ritten wir noch eine Strecke weiter, worauf wir sie ins Wasser trieben und glücklich jenseits anlangten. Dort banden wir sie an und schlichen uns nun längs der das Wasser besäumenden Büsche wieder abwärts. Ich muß hierbei bemerken, daß wir unsere Gewehre nicht mitgenommen, sondern zurückgelassen hatten.
Zu unserm Unglücke war es so dunkel, daß wir die Spuren unserer eigenen Füße nicht sehen konnten, sonst hätten wir an den zahlreich vorhandenen Eindrücken bemerken müssen, daß unser Lagerplatz schon entdeckt worden war.
Als wir soweit gekommen waren, daß wir die lautsprechenden Roten verstehen konnten, hielten wir an, um zu lauschen. Es waren nur drei oder vier Personen, welche sich unterhielten. Daß sie das so laut taten, gab uns die Überzeugung, daß sie sich unbeobachtet wußten. Sie glaubten, sich allein hier am Fleischwasser zu befinden. So vermuteten wir; leider aber war das eine Täuschung, welche sich bitter an uns rächen sollte. Grad dieses laute Sprechen war darauf berechnet, uns sicher zu machen.
Wir legten uns nieder und krochen näher. Wir verstanden jedes Wort, konnten aber nicht klug werden, welcher Nation die Sprechenden angehörten, denn sie sprachen alle möglichen
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