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gewesen, die Angst vor ihrem dreißigsten Geburtstag hatte. Aber das Buch hatte mit allem anderen recht gehabt, warum also nicht auch in diesem Punkt?
Das würde bedeuten, dass ich mich selbst um Nick kümmern musste.
Doch ich war mir nicht sicher, ob ich den Mumm dazu hatte. Zum einen war er nun vorbereitet. Er wusste über mich Bescheid. Zum anderen war ich nicht scharf darauf, den Verstand des Freundes meiner besten Freundin zu vergewaltigen.
Und noch einmal zum anderen, woher nahm ich mir das Recht, die Erinnerung eines anderen Menschen einfach auszulöschen, selbst wenn sie mir gefährlich werden konnte? Ich war schließlich nicht Gott. Nur Betsy, eine ehemalige Sekretärin, Teilzeitvampirin und zukünftige Ehefrau.
Mit quietschenden Reifen kam ich in der Einfahrt unseres Hauses zum Stehen, stürzte mit Baby Jon im Arm aus dem Auto und hetzte durch die Eingangstür und die Treppen hinauf in
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sein Kinderzimmer. Dort wechselte ich seine Windeln, fütterte ihn, ließ ihn ein Bäuerchen machen - alles, während ich darüber nachdachte, was ich wegen Nick unternehmen sollte. Und Jessica. Und Sinclair. Und Antonia. Und . .
Die Türglocke ertönte und ich sprang aus dem Schaukelstuhl, was mein Bruder mit einem weiteren Bäuerchen belohnte. Ich legte ihn in seinem Bettchen ab (es war halb sieben - Zeit für sein abendliches Nickerchen) und eilte die Treppe hinunter.
Hurra! Wer das wohl sein mochte? Hatte Garrett wieder einmal seinen Schlüssel verschluckt? Oder Sinclair Blumen geschickt? Wartete Nick vor der Tür mit einem Zwölfkaliber? Oder war es meine Mutter? (Ich war geneigt, mir eine Entschuldigung anzuhören.) Hatte sich Marc aus der Gewalt des Verrückten (wer auch immer er sein mochte), der ihn aus seiner Schicht in der Notaufnahme entführt hatte, befreien können? War Tinas Sarg vom Flughafen geliefert worden? Und würde ich den Empfang quittieren müssen? War es -
die wie immer allerliebste - Laura, die mir ihr Beileid aussprechen und mir Baby Jon abnehmen wollte?
Ganz egal, wer es war, Hauptsache, es war irgendjemand. Keine Minute länger würde ich es ertragen, in diesem Riesenhaus allein zu sein, und das war schon Grund genug für meinen Enthusiasmus.
Einen Willkommensgruß (oder ein „Steck die Waffe weg, Nick") auf den Lippen, riss ich die Tür auf. Ich hatte gerade genug Zeit, einen Ehering schimmern zu sehen, bevor mich eine Faust, doppelt so groß wie meine eigene, ins Gesicht traf und ich zu Boden ging.
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„Autsch, verdammt!", jaulte ich und rutschte wie ein Käfer hilflos auf dem Rücken über den Boden, bis die Tür zum Empfangszimmer mich so heftig stoppte, dass mir die Zähne klapperten. Ich lag mit allen vieren auf höchst unwürdige Weise von mir gestreckt da und war froh, mich heute für Sportshorts und nicht für einen Minirock entschieden zu haben. Mein Kiefer tat höllisch weh, ebenso wie mein Kopf, dort, wo er gegen die Tür geschlagen war. Auf meine erniedrigende Lage hatte ich wie immer nur eine Antwort:
„Autsch, verdammt!"
Während ich noch fluchte, hatten mehrere Leute das Haus betreten (unaufgefordert!) und starrten nun alle auf mich herunter.
Das Ehering-Arschloch ging in die Hocke, blinzelte mich aus großen gelben Eulenaugen an und sagte: „Also ist es wahr. Du bist ein Vampir. Kein Sterblicher würde einen solchen Schlag überleben."
„Wer lebt?", zischte ich ihn an. Ich versuchte mich aufzusetzen, aber das Ehering-Arschloch war schneller auf den Beinen, setzte seinen Fuß mitten auf meine Brust und drückte mich wieder zu Boden.
„Also wirklich. Das ist einfach nur unhöflich. Ich meine, noch unhöflicher."
„Es gibt vieles, wofür du dich verantworten musst", ließ er mich wissen.
Er sah sagenhaft aus, das musste ich dem Mistkerl lassen. Groß, wirklich groß.
Braunes Haar und goldene Augen. Nicht
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hellbraun oder Haselnuss. Gold wie goldene Münzen. Nicht wie eine Eule, eher wie .. ein Luchs? Ein Löwe? Auch egal. Er war so kräftig gebaut wie Sinclair und mindestens genauso groß. Und ich hatte keinen Sex mehr gehabt, seit...
Unwichtig. Zurück zum Thema, Betsy! „Nimm deinen Fuß von meinen Titten, sofort." Niemand stellt so einfach seinen Fuß auf meine Titten. An diese Regel sollte man sich immer halten.
„Erst reden wir."
„Oha, Alter, um dich mit mir anzulegen, hast du dir die falsche Woche ausgesucht."
„Lass sofort mein Rudelmitglied frei", forderte das Ehering-Arschloch.
Daraufhin packte ich seinen Knöchel und drehte
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