060 - Bis zum letzten Schrei
miteinander. Jeder war mit Essen und Trinken beschäftigt.
Gerard
Tullier, als Gastgeber, saß am Kopfende der Tafel. Sein zerknittertes, bleiches
Gesicht wirkte in dem schummrigen Licht wie eine weiße Scheibe.
Dona Hopkins
saß links vom Gastgeber, rechts neben ihm Mabel Sallenger. Dann folgten der
Reiseleiter und Professor Calleghan. Ihm gegenüber saß Larry Brent, der mit der
reichen Witwe flirtete, was dieser offensichtlich gefiel.
Es schlossen
sich die beiden Ehepaare an, Mr. und Mrs. Haggerty und Mr. und Mrs. Brown.
Art Haggerty
hatte die Gesellschaft während der Reise von Deutschland nach Frankreich mit
seinen Witzen unterhalten. Er war ein quirliger, wendiger Bursche; jetzt aber
wirkte er unnatürlich ruhig, beinahe andächtig. Es war, als lausche er nach
geheimnisvollen Geräuschen, als erwarte er, daß jeden Augenblick irgend etwas
geschah.
Man hörte
jedoch nur das Klappern der Messer und Gabeln auf den Porzellantellern und das
helle Klingen der Gläser, wenn man sich gegenseitig zuprostete.
Marie und
André Soiger hantierten draußen im Restaurant.
Die Tür zum
Rittersaal war geschlossen. Das Burgaufseherehepaar schaffte im Licht der
Kerzen Ordnung. Die Stromversorgung funktionierte noch immer nicht.
Selbst die
Telefonleitung war gestört. Das heftige Gewitter, das am späten Nachmittag über
dem Ort gewütet hatte, mußte ein Hauptwerk getroffen haben.
Ein Besucher,
der am frühen Abend vom Ort aus einen Spaziergang zur entfernt liegenden Burg
unternommen hatte, berichtete, daß in der ganzen Ortschaft kein Licht brannte.
Die Verkehrsampeln seien ausgefallen, und in dem modernen Krankenhaus waren die
Aufzüge steckengeblieben. Es war das einzige Gebäude, in dem es einen Aufzug
gab. Die Feuerwehr war zum Zeitpunkt des Berichtes des Besuchers noch damit
beschäftigt, die in den Fahrstühlen befindlichen Personen zu befreien.
Hin und
wieder legte Soiger lauschend sein Ohr an die Tür, um zu hören, worüber im
Rittersaal gesprochen wurde.
Das Mahl war
beendet.
Die Gäste
unterhielten sich jetzt gedämpft. Calleghan war der erste der Gruppe, der
aufbrach, um jetzt bei völliger Finsternis noch einmal durch den
weitverzweigten Innenhof zu streifen.
Dona Hopkins
und der Reiseleiter verabschiedeten sich. Sie suchten ihre Zimmer auf. Eine
halbe Stunde später folgten auch die beiden Ehepaare.
Außer dem
seltsamen Zwischenfall mit Mabel Sallenger war es zu keiner weiteren Szene
gekommen, obwohl jeder insgeheim gehofft hatte, das Medium würde in diesem geschichtsträchtigen
Saal einen weiteren Anfall durchmachen.
Mabel
Sallenger wirkte ruhig. Doch sie gab sich nur so.
Als sich
Gerard Tullier anschickte, aufzubrechen, wuchs ihre Unruhe.
»Es ist
wieder in der Nähe«, wisperte sie plötzlich. Tullier, der schon an der Tür
stand, wandte den Kopf.
»Was spüren
Sie, Mademoiselle?« fragte er rauh.
»Die Nähe der
Mörderin – und die Nähe des Opfers! Es ist eine Stunde vor Mitternacht,
Monsieur. Es ist um die Mitternachtsstunde passiert, nicht wahr?«
Tullier
zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei, und die Berichte
widersprechen sich.«
»In der
letzten Nacht starb hier jemand, Monsieur«, beharrte Mabel Sallenger auf ihrem
Standpunkt. »Warum weigern Sie sich, darüber zu sprechen? Fürchten Sie, daß wir
abreisen würden? Kommerzielles Denken liegt Ihnen doch fern, Monsieur.
Durch Ihre
Bestätigung aber würden Sie der hier angereisten Gruppe sogar noch einen
makabren Gefallen tun. Es gruselt sich so schön vor dem Einschlafen.«
»Sie erlauben
sich seltsame Scherze, Mademoiselle«, sagte Tullier leise. »Dies ist wahrhaftig
nicht der Ort, um solche Späße zu treiben.«
Er ging nach
draußen.
»Er weiß
alles«, sagte Mabel Sallenger und blickte Larry an. Dann warf sie einen Blick
auf das Ehepaar Haggerty. »Uns wurde erlaubt, zu jeder Tages- und Nachtzeit
durch das Schloß zu gehen und das Gespenst zu verfolgen, wenn wir ein solches
sehen würden. Ich würde jedoch niemandem raten, allein den Rittersaal
aufzusuchen. Die Weiße Frau wird immer wieder hierherkommen. Lassen wir uns lieber
durch die Bilder überraschen, die Mr. Brent mit seinen verborgenen Kameras
aufnimmt. Sie werden uns Aufschluß über den Weg der Weißen Frau geben, dessen
bin ich gewiß. Gute Nacht! Ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück. Ich bin sehr
müde.«
Auch die Haggertys
gingen gleich darauf. Die erste Nacht im Schloß brach an, und offenbar legte
jeder Besucher Wert darauf, den
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