060 - Bis zum letzten Schrei
läßt, hat
doch etwas für sich. Wenn ich über das Problem nachdenke, das sich uns stellt,
dann komme ich zu dem Schluß, daß sich hier wohl nie etwas ändern wird. Das
bedeutet mit anderen Worten: Wir sind machtlos! Dieses seltsame Geisterwesen
ist in einen Teufelskreis geraten. Es wird für alle Zeiten spuken.«
»Richtig. Es
sei denn, die Weiße Frau wird erlöst. Sie muß unsäglich leiden. Aber aus
eigener Kraft schafft sie es nicht mehr, dem Fluch zu entkommen, den sie selbst
für sich auserwählt hat.«
Larry
rätselte vergebens daran herum, was das nun wieder bedeuten sollte. Mabel
Sallenger war nicht bereit, weitere Ausführungen über ihre Andeutungen hinaus
zu machen.
»Legen Sie
sich schlafen«, murmelte sie. Das Medium griff nach der bronzenen Türklinke.
»Fürchten Sie
sich nicht, wenn sich heute nacht Bilder bewegen oder wenn Gegenstände
umfallen. So etwas gehört nun mal zu einem echten Geisterschloß. Unruhige
Gespenster äußern sich auf diese klassische Weise. Meiden Sie aber den
Rittersaal, Mr. Brent! Ich bin mir noch nicht ganz im klaren darüber, welche
Rolle er wirklich spielt. Solange ich noch mit Unsicherheitsfaktoren arbeiten
muß, ist es besser, die Vernunft hervorzukehren und sich vorsichtig zu
verhalten. Vielleicht helfen mir Ihre Fallen weiter. Wenn die Weiße Frau heute
nacht wiederkehrt, muß sich ja irgend etwas auf den Fotoplatten abzeichnen,
nicht wahr?«
Larry lag
noch lange wach.
Er dachte
über den Tag nach und auch über den Vorfall gestern, von dem er zwar gehört,
den er jedoch nicht selbst miterlebt hatte.
Während der
nächsten Stunde sah er in der Dämmerung seines mittelalterlich eingerichteten
Schlafgemachs, wie sich die Bilder bewegten, wie eines herunterfiel und
scheppernd auf dem Boden liegenblieb.
Unter anderen
Voraussetzungen hätte er diese Vorgänge als absurd abgetan, obwohl gerade er
schon mit den ungewöhnlichsten Dingen konfrontiert worden war.
Hier aber
ging etwas vor, das sein Begriffsvermögen sprengte. Er hoffte nur, daß diese
Nacht ohne Zwischenfälle verlief. Morgen würde er keine Verantwortung mehr über
diese Menschen zu tragen haben: Sie würden abreisen. Nur er sollte aufgrund
seiner PSA-Weisung noch bleiben.
●
»Das Ganze
ist nichts als ein Kasperletheater für Erwachsene, glaub mir das«, sagte im
gleichen Augenblick Mr. Art Haggerty zu seiner Gattin, die gleich ihm auf der
Bettkante saß und eine Zigarette rauchte. Er winkte ab. »Interessant ist die
Umgebung hier. Ein bißchen unheimlich ist mir auch. Wahrscheinlich trägt die
Tatsache dazu bei, daß Mabel Sallenger programmgerecht in Trance gefallen ist.«
Er schlug sich auf die Schenkel, drückte die Kippe aus und erhob sich, einen
Blick auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr werfend.
»Fünf vor
Zwölf, meine Liebe«, sagte er grinsend. »Geisterstunde!«
Er stand
neben dem weitgeöffneten Fenster.
Von hier aus
konnte er ein Drittel des Nordturms überblicken. Draußen war es stockfinster.
Die
Wolkendecke war dicht. Im Zimmer brannte eine dicke Wachskerze.
Die
Zigarettenglut seiner Frau glomm als kleiner roter Punkt auf.
»Sehen wir
uns den verbotenen Rittersaal in aller Ruhe mal an, meine Liebe?« fragte Art
Haggerty und löste sich von seinem Standplatz am Fenster.
»Du hast
keine Angst?«
»Vor dem
Gequatsche? Ist doch barer Unsinn. Kommst du mit?«
»Natürlich.«
Janett Haggerty erhob sich, warf die Zigarette in den Ascher und schloß dann
die Tür leise auf. Art Haggerty griff nach der Kerze.
»Ich habe den
Burgherrn beinahe im Verdacht, daß er absichtlich den Strom ausfallen ließ, um
die ganze Sache ein bißchen gruseliger zu gestalten«, grinste er. »Von wegen
Blitzeinschlag.«
Ohne noch ein
weiteres Wort zu verlieren, huschten die beiden schattengleichen Gestalten durch
den schummrigen Kreuzgewölbegang und liefen dann über die breiten Stufen nach
unten. Es gab zwei Möglichkeiten, in den Rittersaal zu kommen: durch eine
Seitentür oder durch die Anschlußtür zum Restaurant.
»Hoffentlich
wecken wir mit unserer Exkursion diesen Brent nicht«, kicherte Mrs. Haggerty,
die zu jedem Spaß aufgelegt war. Man merkte ihr an, daß der kräftige Rotwein
seine Wirkung zeigte. Sie ging etwas im Zickzackkurs und befand sich in
weinseliger Laune.
»Paß auf, daß
wir keine seiner Geisterfallen passieren! Sonst klicken die Verschlüsse, und
ich werde als Weiße Frau auf die Fotoplatten gebannt!«
»Sein Gesicht
möchte ich sehen«, strahlte Art Haggerty.
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