060 - Jenseits der Dämmerung
dann Molfell, Molfett, Molsaft und Molknochen? Woraus macht ihr eure Kleidung, eure Kämme, womit beheizt ihr eure Häuser?«
»Mit anderen Dingen. Wir haben Stoffe und Holz und…«
»O nein«, unterbrach ihn Seimaas Stimme. »Es haben doch nicht alle geschafft. Seht nur!«
Aiko drehte den Kopf zurück zur Reling. Im gleichen Moment stolperte ein Mann aus einer der Gassen. In den Händen hielt er ein abgebrochenes Stück Holz, mit dem er sich jetzt nach vorne in den Schlamm warf.
Daraus tauchte etwas hervor, ein dunkles, bärengroßes Tier, das Krallen wie Schaufeln hatte. Es kollidierte mit dem Mann, schleuderte ihn durch die Luft und tauchte wie ein Schwimmer in den Schlamm ein.
Einige Meter entfernt kam der Mann auf die Beine. Er wirkte erschöpft, aber auch entschlossen. Aiko aktivierte den Restlichtverstärker und zoomte sein Gesicht näher heran.
»Ich habs geahnt«, murmelte er, dann sprang er auch schon auf die Reling.
Um ihn herum wurden überraschte Stimmen laut.
»Bist du verrückt?«, rief Hooard.
Aiko antwortete nicht, sondern stieß sich stumm ab. Das eiskalte Wasser der Bucht schlug über ihm zusammen und ließ seine Muskeln verkrampfen. Die künstlichen Arme waren davon nicht betroffen, sondern brachten ihn mit ausladenden Kraulbewegungen dem Ufer näher – dorthin, wo Matthew Drax um sein Leben kämpfte.
***
»Shit!«
Matt warf sich zur Seite. Die Schaufelkrallen schossen über ihn hinweg und rissen ein Stück aus der Wand eines Standes. Mit einem wütenden Fauchen landete die Bestie im Schlamm. Holzsplitter regneten herab. Matt griff nach einem längeren Brett, dessen gezackte Kanten scharf aussahen und lief los.
Der Schlamm zerrte an seinen Stiefeln. Fast schon glaubte er die spitzen Krallen im Rücken zu spüren, als er endlich den Hafen erreichte. Er hatte keine Zeit, über die leeren Anlegestellen nachzudenken, denn das hektische Pfeifen des Erdhörnchens verriet ihm, dass der nächste Angriff bevorstand.
Das war der Augenblick, auf den Matt gehofft hatte. Drei Mal bereits war die Bestie an ihn herangekommen, drei Mal war er geflohen, ohne Gegenwehr zu leisten. Er merkte, daß sie leichtsinniger wurde und immer früher aus dem Schlamm auftauchte, der ihr Deckung bot.
Als das Pfeifen im nicht hörbaren Bereich verschwand, fuhr Matt herum. Das abgebrochene Holz in beiden Händen haltend, warf er sich der Bestie entgegen. Er glaubte bereits das Brett in ihren Brustkorb eindringen zu sehen, als sie sich plötzlich wegdrehte und ihn mit einem heftigen Schlag einer Schaufelklaue durch die Luft schleuderte.
Der Schlamm bremste Matts Fall. Trotzdem schlug er hart zwischen den Stegen auf und brauchte einen Moment, um die Benommenheit abzuschütteln. Auf einen Pfahl gestützt kam er hoch. Das Brett, seine einzige Waffe, war verloren. Für eine Flucht fehlten ihm die Möglichkeiten, und wenn das Pfeifen des Erdhörnchens kombiniert mit seinem aufgeregten Auf- und Abspringen irgendetwas zu bedeuten hatte, dann wohl, dass sich die Bestie auf den letzten Schlag vorbereitete.
Langsam tauchte sie vor ihm aus dem Schlamm auf. Sie bewegte sich ungeschickt, fast schon linkisch auf ihren übergroßen Vorderpfoten, aber der Anblick der Krallen machte diesen Eindruck wett. Trotzdem hätte Matt beinahe gelacht, als er in die kleinen Augen blickte und die langgezogene spitze Schnauze mit den Reißzähnen bemerkte.
Die Bestie, die beschlossen hatte, seinem Leben in diesem Schlammloch ein Ende zu setzen, war ein Maulwurf. Groß wie ein Grizzly vielleicht, aber immer noch ein Maulwurf.
»Na komm«, sagte Matt mit mehr Todesverachtung, als er wirklich spürte. »Räch dich schon für all die Male, wo mein Vater eure Gänge unter Wasser gesetzt hat.«
Leise knurrend näherte sich ihm das Tier. Der Schlamm tropfte von dem kurzen schwarzen Fell und vermischte sich mit den Pfützen am Boden. Matt ballte die Hände zu Fäusten, fest entschlossen, diesen letzten Kampf für den Maulwurf so unangenehm und schwer wie möglich zu gestalten.
Mit einem Fauchen richtete sich das Tier auf. Seine Klauen zuckten vor, zielten auf den Hals.
»Maddrax!«
Matt ließ sich fallen, machte eine Rolle zur Seite und sah auf. Er hörte, wie die Bestie im Schlamm aufschlug, dann flog ihm schon etwas entgegen und landete in einer Pfütze.
Ohne Zögern griff er danach, spürte nassen kalten Stahl unter seinen Fingern.
Der Driller!
Er fuhr herum. Aus seiner liegenden Position wirkte der Angreifer riesenhaft. Der ungeschützte
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