060 - Trip in die Unterwelt
Wasser ins Gesicht.
Ich unterdrückte einen Hustenreiz und lief zum Hecklicht. Das große Schlauchboot schaukelte an zwei Leinen vier Meter hinter dem gerundeten Heck mit den Messingbuchstaben: Colombo, Panama.
Ich löste die Kette, tappte die Badeleiter hinunter und griff nach den dünnen Nylontauen. Langsam zog ich das Boot näher heran und legte die Leinen so, dass sich die Knoten mit einem heftigen Ruck leicht aufziehen ließen.
Ich wartete einen Augenblick, dann sprang ich ins Boot und blieb in der Mitte sitzen. Es war dunkel. Der Mond war nicht zu sehen, nur ein paar Sterne funkelten am Firmament. Es gab kaum andere Geräusche als die des Mistrals: Er blies seit Tagen.
Merkwürdig … ich dachte während der drei Minuten, die ich wartete, überhaupt nicht an die Schrecken, denen ich eben entkommen war. Mein Verstand weigerte sich offensichtlich, sich damit zu beschäftigen.
Das Gummiboot hob und senkte sich und rammte immer wieder mit dem Bug die Jacht. Drüben leuchteten die Lichter von Cannigione. Die Italiener saßen bei ihrem Abendessen. Die Straßenbeleuchtungen brannten. Irgendwo bellte einer der verwahrlosten Hunde. Lichtkegel huschten durch die Nacht und beleuchteten Hausfronten und die großen Schiffe dort drüben vor Arrecchianis Werft.
Ein Schatten schob sich zwischen das Hecklicht und mich. Ich blickte hoch und hob instinktiv einen Arm über den Kopf.
»Arnold! Ich bin's, Hunter!«
»Kommen Sie!«, sagte ich leise. »Was hat so lange gedauert?«
Dorian war am Ende seiner Kraft. Er kletterte, die Harpune auf dem Rücken, die Leiter hinunter und wäre beinahe abgerutscht und ins Wasser gefallen. Ich fing ihn auf, dann löste ich die erste Leine und drehte den Zündschlüssel herum.
»Alles klar?«, fragte er. »Sie werden gleich sehen, was hier vorgeht.«
»Hoffentlich springt der Motor an«, erwiderte ich und zog am Handstarter.
Einmal, zweimal. Nichts. Ich bildete mir ein, dass man die Geräusche bis hinüber im Ort hören musste, aber nichts und niemand rührte sich auf dem Schiff. Schließlich hörte ich das gleichmäßig laute Hämmern eines alten Dieselmotors, der drüben im Hafen anlief. Bei diesem Wind lief doch kein Fischer aus?
Ich erinnerte mich, dass es auch hier einen Choke gab, zog an dem kleinen Hebel, und beim nächsten Versuch sprang der Motor an.
»Los!«, drängte Dorian ungeduldig. Er zitterte vor Kälte.
»Machen Sie die andere Leine los! Einfach ziehen!«
Dann kuppelte ich ein und wartete, bis die Leine ins Boot flog. Der Motor heulte auf und das Boot drehte sich. Es entfernte sich schnell von der Bordwand.
Ich blickte abwechselnd hinüber zum Hafenbecken und dann wieder zur Colombo zurück. Als wir zwanzig Meter entfernt waren, tauchte am Bug ein Mann auf. Er schrie unverständliche Worte und schaltete den Suchscheinwerfer an. Der scharfe Strahl durchbohrte die Dunkelheit, wurde herumgeschwenkt, und plötzlich stand Hunter auf. Er federte in den Knien und feuerte die Harpune zum dritten Mal ab.
Klirrend zerbarst das Glas des Scheinwerfers. Der Mann daneben schrie auf. Hunter wurde zurück auf den Sitz geworfen. Als ich wieder zum Schiff hinübersah, bemerkte ich hinter einigen Luken flackerndes, gelbes Licht. Flammen!
Über den Lärm des Motors hinweg schrie ich: »Hunter, was haben Sie dort drüben angestellt?«
»Mit Benzingemisch und zwei Notfackeln Feuer gelegt. Die Jacht brennt.«
Drei Sekunden später brannte nicht nur der Maschinenraum, sondern die Flammen schlugen, von einer dumpfen, schweren Explosion begleitet, aus sämtlichen Öffnungen an Deck.
In meiner Aufregung drehte ich am Gasgriff, und unser Boot begann über die Wellen zu springen. Das Wasser durchnässte uns binnen Sekunden bis auf die Haut. Ich starrte wieder hinüber zur Colombo. Sie brannte an vier Stellen lichterloh. Ein Mann wurde von einer zweiten Explosion im Vorschiff ins Wasser katapultiert.
»Warum?«, brüllte ich.
Die zwei Lampen kamen schnell näher. Rechts die grüne, gegenüber die rote Einfahrtslampe des Hafens. Ich steuerte genau in die Mitte, nachdem ich die Geschwindigkeit gedrosselt hatte. Im Hafen selbst war das Wasser ruhig.
»Weil alle an Bord Dämonen waren. Vorsicht! Sehen Sie nicht? Das Fischerboot vor uns!«
Die lodernden Flammen beleuchteten auf schaurige Weise einen Kutter. Im Licht des Kompasses sah ich flüchtig durch die Scheiben des Ruderhauses eine Frau. Ich wusste nicht zu sagen, ob sie schön war oder nicht. Sie stand hoch aufgerichtet da, die
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