0600 - Die Fee und die Horror-Reiter
zuviel?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Es ist tatsächlich unbegreiflich für mich.«
»Aber du kennst sie doch.«
»Das schon…« Ich hob die Schultern. »Nur … diesen Auftritt zu erleben, das empfinde ich einfach als einmalig.«
Wer jetzt noch fehlte, war der rote Ryan mit seiner Flöte. Wenn er seine Melodien spielte, horchte die Natur auf. Ich hatte ihn mit dem Papageno aus Mozarts Zauberflöte verglichen, und dieser Vergleich traf wirklich zu.
Die Trooping Fairies ritten nicht aus einer Richtung auf die kleine Waldlichtung. Sie kamen von verschiedenen Seiten, begleitet vom hellen Klang der gläsernen Glocken, der erst verstummte, als sie die weißen Pferde anhielten.
Hin und wieder schwang noch ein helles Läuten nach, dann wurde es auf der Lichtung still.
Ich räusperte mir die Kehle frei, weil ich die Trooping Fairies ansprechen wollte, aber Perlhaut erriet meine Gedanken und warnte mich durch flüsternde Worte.
»Nein, nicht, John. Es müssen die alten Regeln eingehalten werden, bevor du dich meldest.«
»Welche sind das?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Noch ein Nachzügler kam. Auch er wurde vom Spiel seiner Glockenkette begleitet, doch mir fiel auf, daß diese Töne nicht so klar und rein waren, wie sonst.
Noch steckte er im Wald, verborgen durch die graugrünen Schatten zwischen den Bäumen. Er kam näher, der Klang wirkte schwermütig, etwas klirrte auch.
Unruhe erfaßte die Reihe der wartenden Elfen. Sie schauten sich an. Auf ihren hellen Gesichtern zeichnete sich Sorge ab. Bevor einer von ihnen losreiten konnte, erschien der letzte dieser kleinen, geheimnisvollen, geisterhaften Armee.
Mir gab es einen Stich durchs Herz, als ich ihn sah, und auch die Trooping Fairies schraken zusammen.
Die schmale Gestalt hockte nach vorn gesunken auf dem Rücken des hellen Pferdes. Wir alle sahen, daß sie sich nur mühsam halten konnte, bei jedem unregelmäßig gesetzten Tritt des nicht mehr geführten Pferdes zuckte der Körper zusammen, schwangen die gläsernen Glocken an der Kette, wobei die dabei entstandenen Töne mehr ein Klirren als einem Klingen glichen.
Die engelhafte Elfe wollte es trotzdem noch versuchen und richtete sich mit einem Ruck auf.
Da blieb das Pferd stehen, als hätte es genau gewußt, was sein Reiter wollte.
Die anderen Trooping Fairies standen in einer Reihe und schauten ihrem Nachzügling entgegen. Zwischen ihnen, ihm und mir schwebte Perlhauts Geist durch die Luft.
Noch immer saß die Gestalt still, bis sie sich plötzlich bewegte. Dabei kürten die Ketten, ich aber wußte genau, was diese Person wollte.
Ihr Blick traf mich.
Das blasse Gesicht machte auf mich in diesem Moment einen gezeichneten Eindruck, als hätte jemand mit einem dünnen Stift nachgemalt und die Proportionen verschoben.
Hölzern, gequält, von der Angst und auch dem Wissen irgendwo gezeichnet.
Ich stieß scharf die Luft aus. Diese Gestalt wollte etwas von mir, denn sie hob den Arm und streckte ihn mir entgegen.
Mit einer geschmeidigen Bewegung rutschte ich vom Rücken meines Reittieres. Die Füße versanken im weichen, hohen Gras der Lichtung, und meine Schritte waren kaum zu hören, als ich mich dem Trooping Fairie näherte. Dem fiel es immer schwerer, sich im Sattel zu halten. Er schwankte schon, die Kette bewegte sich. Ich vernahm nicht mehr das helle Glockenspiel, sondern ein Klirren.
Bevor ich ihn erreichen konnte, zerbrachen die einzelnen Glocken.
Glas rieselte als Splitter zu Boden, dann kippte die Gestalt und fiel in meine ausgebreiteten Arme.
Zum erstenmal sah ich sie richtig und merkte, daß ihre linke Seite aus einer einzigen großen Wunde bestand…
***
Noch eine Glocke der Kette zerbrach. Zugleich drang mit diesem knirschenden Geräusch ein letzter Seufzer über die blassen, schön geschwungenen Lippen der Gestalt, dann nichts mehr.
Von einem Augenblick zum anderen wurde sie stocksteif, und ich legte sie so behutsam zu Boden wie ein wertvolles Gemälde, wobei ich den Kopf angehoben hatte, um in die Gesichter der übrigen Trooping Fairies schauen zu können.
Beim ersten Hinsehen wirkten sie unbewegt, kalt, wie geschnitzt, doch ich erkannte auch die Trauer in ihren Augen, den unbändigen Zorn, der sie erfaßt hielt.
Ich sah mir die Wunde an.
Mein Gott, als so etwas konnte man es nicht bezeichnen. Das war abgehackt worden, hätte eigentlich im Blut ertrinken müssen, was nicht der Fall war.
Statt dessen quoll mir eine weißgrüne Masse entgegen, die tiefe Einschnitte
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