0601 - Druiden-Seelen
Monster!
Zumindest vom Äußeren her, das seinem Leben im Wasser optimal angepaßt war.
Onaro fragte sich, was ihm die Ehre verschaffte. Der Ungenannte zeigte sich nur selten. Mancher Silbermond-Druide hatte schon steif und fest behauptet, der Ungenannte stamme aus einer anderen Welt. Er sei kein ursprünglicher Bewohner dieses Himmelskörpers, sondern irgendwann von irgendwoher gekommen, um sich hier niederzulassen und alle Gewässer des Planeten zu seiner Domäne zu machen.
Überall, wo Wasser floß, vermochte er aufzutauchen, ganz nach seinem Belieben. In einem Meer, in einem Fluß, sogar in der Wasserversorgung der großen Organstadt. Die einzige Voraussetzung dafür war, so schien es, daß zwischen den einzelnen Gewässern eine direkte Verbindung bestand, die der Ungenannte nutzen konnte.
Woher er wirklich kam, wußte niemand, auch nicht, was er tat und warum. Er ließ sich nicht in seine Karten schauen, selbst von den Druiden nicht.
Jetzt sprach er Onaro telepathisch an.
Du scheinst einer der wenigen zu sein, die trotz der Macht der Schatten den Verstand behalten haben. Und du befindest dich an einem Ort, an dem wir uns unterhalten können, ohne von den Veränderten entdeckt und belauscht zu werden. Ich habe diesen Ort abgeschirmt. Du wirst die anderen finden und dich mit ihnen verbünden müssen. Jemand muß den Krieg verhindern. Zu viele Parteien streiten gegeneinander. Der Tod will ernten, was das Leben säte.
»Die Macht der Schatten?« entfuhr es Onaro.
Lis’ Kopf flog herum. »Wovon sprichst du?«
Onaro zuckte zusammen. »Ich… ich habe nur laut nachgedacht. Es ist… nichts wichtiges!«
»Das glaube ich dir nicht!« Ihr Mißtrauen kehrte zurück.
»Nun… nun gut. Du weißt, daß wir Druiden Telepathen sind?«
»Ja.« Davon hatte Zamorra oft genug erzählt, und sie hatte auch vor ein paar Jahren einmal einen Silbermond-Druiden im Dorf gesehen. Diesen jungen, verwegen aussehenden Burschen im verwaschenen Jeansanzug, der so wunderbar erfrischend lachen konnte und dessen Blondschopf aussah, als habe er noch nie einen Kamm gesehen. Gryf hieß er, erinnerte sich Lis.
Damals hatte sie sich gewünscht, Gryf würde ihre Gedanken lesen.
Dann hätte er gewußt, was sie sich so sehnlich wünschte - ihn zu küssen, von ihm gestreichelt zu werden -und mehr…
Ihre Eltern hätten sie für diese Gedanken sicher verhauen.
Damals war sie noch nicht einmal vierzehn Jahre alt gewesen.
»Ich stehe soeben in telepathischem Kontakt mit… mit einem Freund«, sagte Onaro. »Sei unbesorgt, es ist keiner unserer Gegner, mit dem ich rede.«
Sie schloß die Augen. »Wie soll ich jemals wieder unbesorgt sein nach allem, was hier geschieht?«
Onaro strich durch ihr Haar, und einen Moment lang träumte sie, es sei Gryfs Hand, die sie berührte.
Aber es war ein anderer. Einer, der zwar auch aussah, als könne man sich an seine breiten Schultern lehnen und Trost finden, doch sie war immer noch nicht hundertprozentig sicher, ob sie ihm wirklich vertrauen konnte.
»Es geht vorüber«, sagte Onaro. »Nichts ist von Dauer, auch nicht der Schrecken. Wir werden das hier überstehen, und du wirst zurückkehren in deine Welt. Nicht jetzt, aber später. Dir wird nichts geschehen.«
»Woher willst du das wissen?« fragte sie skeptisch. »Du bist doch nicht etwa auch noch Hellseher?«
»Das gehört nicht zu meinen Fähigkeiten«, erwiderte er.
Bist du jetzt fertig mit dem Herumturteln? Um dich herum zerbricht eine Welt, und du vergeudest deine Intelligenz an ein Mädchen von der Erde. So werden wir nicht Herr der Lage, mischte sich der Ungenannte ein.
»Was weißt du von der Erde?« entfuhr es Onaro.
Menschen von der Erde haben jene Echsen hierhergebracht, nachdem der Silbermond von Merlin gerettet wurde, teilte der Ungenannte mit. Die Echsen sind friedliebend, sie könnten mit euch zusammenleben. Denn Platz gibt es auf dem Silbermond genug. Niemand wird den anderen stören. Doch die Macht der Schatten läßt sie zu aggressiven Kämpfern werden, so wie deinesgleichen. Es gibt nur wenige, die nicht zu den Veränderten gehören, auf beiden Seiten. Ein Mann von der Erde ist gekommen, ein alter Freund von mir. Er gab mir auch einen Namen.
»Was?« stieß Onaro hervor. »Er hat dir einen Namen gegeben?«
Ja, er sah mich und nannte mich Siebenauge. Es ist schon lange her. Es geschah, als er zum ersten Mal auf dem Silbermond war.
»Siebenauge«, murmelte Onaro. »Das paßt. Du hast jetzt also einen Namen…«
Siebenauge!
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