0601 - Druiden-Seelen
Der Ungenannte besaß tatsächlich sieben Augen. Ansonsten glich er einem riesigen Kraken. Solche Wesen gab es eigentlich nicht im System der Wunderwelten, schon deshalb war stets angenommen worden, daß der Ungenannte - nein, daß Siebenauge aus einer anderen Welt hierhergelangt war.
Onaro hatte von anderen Druiden gehört, daß es auf einigen Welten, auch auf der sagenhaften Erde, Kraken geben sollte.
Manche so klein, daß sie in eine Hand paßten, andere so riesig, daß ein Mensch von einem einzigen Saugnapf des Kraken völlig überdeckt werden konnte.
Der Mann von der Erde hat ebenfalls einen Namen. Man nennt ihn Zamorra. Er ist mein Freund. Ihn wollten die Veränderten hierher holen, als sie an seiner Stelle dieses Mädchen erfaßten. Nun ist er dennoch hier, aber er lief in eine Falle und ist nun ein Gefangener. Es gilt zu überlegen, was wir für ihn tun können.
»Woher weißt du davon?«
Woher wußte ich, daß du hier bist? Ich weiß viel, ich sehe viel. Und ich denke viel.
»Was schlägst du vor, Ungenannter? Ich bin ratlos«, gestand Onaro.
Auch du solltest mich Siebenauge nennen. Ich trage diesen Namen nun schon lange und habe mich an ihn gewöhnt. Er gefällt mir, teilte das Krakenwesen mit. Alle, die nicht zu den Veränderten gehören, sollten sich an einem bestimmten Ort treffen. Sowohl Druiden als auch Sauroiden. Nur gemeinsam lassen sich die anderen überzeugen - sie müssen sehen, daß ihr zusammenleben könnt.
»Und wenn sie sich nicht überzeugen lassen? Wenn sie statt dessen in uns Verräter sehen? Ich hab’s selbst schon erlebt, und ich denke, bei den - wie nennst du sie? Sauroiden? Bei ihnen wird es nicht viel anders sein.«
Ich bin kein Prophet, gestand das Krakenwesen. Ich kann nicht voraussagen, was wirklich geschehen wird. Aber etwas zu tun, ist besser, als nichts zu tun. Ich werde den Ort bestimmen, an dem sich jene treffen, die nicht zu den Veränderten gehören.
»Warum du, Siebenauge?«
Weil ich in der Lage bin, diesen Ort zu schützen. Aber nur diesen Ort und nicht mehr. Meine Möglichkeiten sind begrenzter als die des großen Zauberers Merlins. Ich verfüge leider nur über einen Teil seines Potentials.
»Siebenauge?« entfuhr es im gleichen Moment Lis Bernardin. »Du sprichst mit Siebenauge? Ist er es, mit dem du telepathischen Kontakt hast?«
»Ja«, sagte Onaro überrascht. »Woher kennst du den Ungenannten?«
»Zamorra hat von ihm erzählt. Jeder bei uns im Dorf hat von Siebenauge gehört. Soll ein ziemlich komisches Wesen sein.«
»Zamorra, soso«, murmelte Onaro. »Weißt du eigentlich, daß sich dieser Zamorra derzeit auf dem Silbermond befindet? Zumindest behauptet das Siebenauge.«
»Zamorra ist hier?« Lis sprang auf. »Vielleicht kann er mich zurückbringen.«
Aber dann legte sich wieder ein Schatten auf ihr Gesicht. Sie dachte an das Gespräch, das sie nach ihrem ersten Erlebnis mit den Skeletten auf dem kleinen Friedhof gehabt hatte. Zamorra hatte ihr versprochen, alles werde gut, weil er sich jetzt darum kümmerte. Dennoch war sie hierher entführt worden.
Daß Zamorra sich ebenfalls hier befand, konnte sie nicht sonderlich beruhigen. Vielleicht war er ebenso gekidnappt worden wie sie.
»Möchtest du Siebenauge sehen?« fragte Onaro plötzlich.
»Aber erschrick nicht. Er sieht… nun, etwas ungewöhnlich aus.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Er soll ein Riesentintenfisch sein.«
»Ein Krake, ja«, sagte Onaro.
Er sandte einen Gedankenimpuls an den Ungenannten.
Und da erhob sich Siebenauge aus dem Wasser, zeigte sich in seiner vollen, vielarmigen Schönheit.
Unwillkürlich sprang Lis vom Ufer zurück. Sie starrte das Krakenwesen aus großen Augen an. Trotz der Vorwarnung hatte sie Mühe, ihr Erschrecken in Zaum zu halten. Aber sie wußte ja, daß Siebenauge ein Freund war.
Beachte nie das Äußere. Sieh das Innere. Schönheit kann blenden, und in einer Mißgestalt kann ein wunderbares, freundliches Wesen verborgen sein. So hatte Zamorra oft gesagt, wenn er mit den Menschen im Dorf sprach und von den seltsamen Geschöpfen berichtete, auf die er bei seinen phantastischen Abenteuern traf.
Ob andere Hautfarbe, andere Nationalität, andere körperliche Erscheinung - es kam auf den Geist an, so sagte er immer. Der Geist war gut oder böse, der Körper nur eine Hülle.
Und Siebenauge war Zamorras Freund. Er war hier, sie sah ihn vor sich. Onaro unterhielt sich telepathisch mit ihm.
Da endlich faßte sie endgültig Vertrauen zu dem Druiden.
Wenn ihn
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