061 - Medusas steinerne Mörder
Treppe höher
vernahm Morna Ulbrandson ein leise klappendes Geräusch, das genau hinter der
Tür herkam, die jenseits des Treppengeländers lag…
●
Im
Polizeiposten von Praid, der letzten Station der Eisenbahnlinie vor den steil
ansteigenden Karpaten hielten stets nach Ablauf des normalen Betriebs zwei
Beamte den Dienst aufrecht. An diesem Abend aber waren es drei. Der Genosse
Kommissar, der die Station leitete, war vor wenigen Minuten eingetroffen. Er
war über das Eintreffen der beiden Spezialisten der PSA informiert worden und
wollte sie an Ort und Stelle begrüßen. Der Kommissar inspizierte noch mal
seinen Büroraum, ordnete noch einige Akten auf dem Schreibtisch, damit er
dekorativer wirkte und ging dann nach draußen, um einen letzten Rundgang durch
den Hof zu machen, in dem der Helikopter landen sollte, der die beiden Männer
einflog. Der Hof war taghell ausgeleuchtet. Zusatzscheinwerfer waren
aufgestellt worden, um dem Piloten die Landung zu erleichtern. Drei
Einsatzfahrzeuge der Polizei standen sauber geputzt in einer Reihe
nebeneinander an der Rückseite des Dienstgebäudes. Rund dreißig Schritte
weiter, auf der anderen Seite des nach hinten offenen Hofes, sah das Bild etwas
weniger günstig aus. Dort waren in zwei langgestreckten, schuppenähnlichen
Gebäuden Geräte und nicht mehr benötigte, funktionstüchtige Fahrzeuge
abgestellt. Außerdem wurden Briketts und Holz gelagert. Einen Teil des
Schuppens hatte man vor einigen Tagen ausgeräumt und einer neuen Bestimmung
zugewiesen. Auf einem Karren lag die Statue, die ein Bauer aus Skotje auf dem
Weg zum Markt nach Praid in den frühen Morgenstunden entdeckt hatte, und die
den Behörden seitdem ein Rätsel aufgab. Niemand konnte sich vorstellen, wie die
menschengroße Figur an das Südufer des Muresul gekommen war, und welchen Sinn
sie dort erfüllen sollte. Im Umkreis von fünfzig Kilometern um Praid hatte man
nachgeforscht, welcher Künstler oder Bildhauer die Idee gehabt haben könnte,
auf diese Weise vielleicht auf sich aufmerksam zu machen. Aber man war nicht
fündig geworden. Außerdem sprach einiges dagegen, daß die Statue dort hingeschafft worden war. Rätselhaft war auch
die Tatsache, daß man in unmittelbarer Nähe auf einen vollgepackten Landrover
und auf ein halbfertig errichtetes Zelt gestoßen war. Herausgefunden hatte man
lediglich, daß der Wagen von zwei Personen, Amerikanern, benutzt worden war.
Deren Papiere hatte man sichergestellt. Gefunden hatte man die beiden trotz
intensivster Nachforschungen allerdings noch nicht. Dazu gehörte auch der
Einsatz von drei Tauchern, die den Fluß in der Nähe der Fundstelle abgesucht
hatten. Man mußte davon ausgehen, daß die beiden jungen Männer einem Verbrechen
zum Opfer gefallen waren. Dem Kommissar war nicht ganz wohl bei der Geschichte.
Mit solch komplizierten Dingen hatte er bisher nichts zu tun. Mal ein Überfall,
ein Diebstahl… seit Jahren hatte es in Praid keinen Mord gegeben. Und nun das!
Der
Mann in der braun-grünen Uniform überquerte den Hof, um auch noch einen Blick
in den Schuppen zu werfen, wo die Statue aufbewahrt wurde. Daß diese Statue
genauso aussah wie einer der Verschwundenen, wollte ihm überhaupt nicht in den
Kopf. Der Kommissar war Ausländern gegenüber stets skeptisch, und es berührte
ihn schon eigenartig, daß ausgerechnet ein Amerikaner bei der Abordnung sein
würde, die in wenigen Minuten hier eintraf. Doch da er Anordnung von seinem
höchsten Dienstherrn erhalten hatte, machte er sich darüber keine weiteren
Gedanken. Die Herren da oben mußten wissen, was sie taten. Er war nur
ausführendes Organ.
Der
Schlüssel klapperte gegen das Schloß, das sich knackend öffnete. Die hintere
Wand des Schuppens bestand aus einer Ziegelsteinmauer, die drei anderen Wände
aus Brettern. Der Karren nahm fast die gesamte Stellfläche ein. Elektrisches
Licht gab es nicht. Eine Taschenlampe hatte der Kommissar nicht dabei. Durch
das Scheinwerferlicht, das durch das weitgeöffnete Tor fiel, konnte er jedoch
genug erkennen. Die Statue lag in ganzer Größe auf dem flachen Karren. Der
Kommissar starrte sie an. Es gab noch ein weiteres Rätsel um die Figur, die wie
aus dem Nichts kommend aufgetaucht war. Sie war bekleidet. Seit wann steinerne
Statuen mit Kleidern versehen wurden, wußte er auch nicht. Plötzlich fuhr er
zusammen. Narrte ihn ein Spuk? Waren seine Sinne überreizt? Ein Moment war es
ihm, als hätte sich ein Finger der rechten Hand, um den Eindruck des
Weitere Kostenlose Bücher