061 - Medusas steinerne Mörder
den
vergangenen Tagen geschehen, was in all den Jahren nur geschlummert hat.
Vielleicht hängt es mit den Leuten zusammen, die oben im Schloß wohnen.«
»Draculas
Schloß ist nur noch eine Ruine. Dort kann niemand wohnen.«
»Das
meine ich auch nicht… es gibt noch ein anderes Schloß, ein kleineres, das für
Skotje in der Vergangenheit stets eine besondere Bedeutung hatte.« Morna Ulbrandson
nahm ihren Mantel in den anderen Arm. »Was für ein Schloß denn?« fragte sie interessiert.
»Es
gehört einem Grafen von Bernicz, der dort oben seine Studien treibt.«
»Was
sind das für Studien?«
»Sie
betreffen dieses Land, seine Menschen und seine Geschichte… Manchmal ist es
nicht gut, zuviel zu wissen«, fügte er hinzu, als er merkte, daß Morna erneut
zum Sprechen ansetzte. »Bleiben Sie hier, junge Frau… gehen Sie morgen früh
wieder spazieren. Das Wetter wird sich in den nächsten Tagen nicht ändern.«
»Erzählen
Sie mir mehr über das andere Schloß und seine Bewohner.«
»Da
gibt’s nicht viel zu erzählen… Die Leute dort leben sehr für sich. Einmal in
der Woche fährt ein Karren nach oben, um Lebensmittel und Getränke zu liefern.
Manchmal sieht man das Ehepaar und seine Begleiterin auch auf einem Spaziergang
durch das Dorf. Doch das ist sehr selten… Leider. Es sind wundervolle Menschen.
Aber auch ein bißchen neugierig.« Das auch betonte er. Morna
Ulbrandson tat jedoch so, als hätte sie es überhört. Sie stellte einige
gezielte Fragen, die das Schloß betrafen, erhielt aber nur ausweichende
Antworten. Der Wirt tat weiterhin geheimnisvoll und hoffte, seinen fremden Gast
aus Schweden damit nachdenklich zu stimmen und von dem Spaziergang abzuhalten.
Das erste schaffte er, das zweite jedoch nicht.
»Ich
gehe nicht weit«, beruhigte sie den Mann. »Ich bleibe in der Nähe der Häuser.
Außerdem habe ich keine Furcht.«
»Die
drei jungen Frauen, die innerhalb einer Woche spurlos verschwanden, hatten auch
keine Furcht«, murmelte der Wirt noch in seinen Bart und blickte ihr nach, als
sie durch die Tür und dann über die dunkle, menschenleere Straße ging. Im
gleichen Augenblick erhob sich einer der drei Gäste, die an einem runden Tisch
in der Ecke saßen und miteinander geplaudert hatten.
»Ich
behalte sie im Auge«, sagte der kräftige junge Bursche mit dem gewellten,
schwarzen Haar. Mit diesen Worten verließ auch er die Gaststube, klappte seinen
Kragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen und schlenderte an der Hauswand
entlang… der Frau nach, die langsam die Dorfstraße hinter sich ließ. Er hielt
sich im Schatten der Häuser, um nicht bemerkt zu werden…
●
X-GIRL-C
hatte nicht nur die Absicht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um den bisher
unbekannten Entführer aus seiner Reserve zu locken, sie wollte auch
gleichzeitig einen Bericht an die PSA-Zentrale in New York abgeben. Vielleicht
war im Archiv etwas über jenes Schloß gespeichert, vielleicht konnte man dort
etwas mit dem Namen von Bernicz anfangen. Etwa hundert Schritte vom
Eingang des Wirtshauses entfernt aktivierte sie den Sender, der in einem
Anhänger an dem Armkettchen, das sie trug, befestigt war. Der Anhänger hatte
die Form einer Weltkugel, durch die das stilisierte Gesicht eines Menschen
schimmerte. Der goldene Äquator, der die Kugel in der Mitte umgab, trug die
Gravur: Im Dienst der Menschheit – X-GIRL-C. Morna sprach nur einen
kurzen Bericht und bat um nähere Informationen über Schloß und Bewohner, falls
dies möglich sei. Über einen PSA-eigenen Sender wurde die Nachricht gleich
darauf in der Funkstation der geheimen PSA-Institution zwei Etagen unter den
Kellern des Tavern on the Green empfangen. Die Computer werteten die
Mitteilungen aus, und die vergleichende Analyse begann. Morna hatte indessen
das Ende der Straße erreicht. Vor ihr in der Dunkelheit zweigte nur noch ein
schmaler Weg ab, der weiter in die Berge führte. Am Dorfrand, rund zweihundert
Meter von ihr entfernt, stand noch ein einsames Gehöft, das von einem niedrigen
Holzzaun umgeben war. Schwacher Lichtschein war zu erkennen, der durch die
Fenstervorhänge drang. Es war das am weitesten abseitsstehende Haus. Morna
Ulbrandson hatte seit ihrer Anwesenheit in Skotje schon die nähere
Umgebung kennengelernt und erst gestern diesem einsamen Haus einen Besuch
abgestattet. Von den drei Töchtern des Bergbauern war eine vor zwei Tagen
spurlos verschwunden. Sie hatte das Haus in Richtung Dorf verlassen und war nie
dort angekommen. Auf
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