0611 - Der Mondschein-Teufel
furchtbar verwilderten Garten. Drei Nachbarn hatten ihr schon gleich zur Begrüßung klargemacht, daß es doch wesentlich schöner sei, wenn sie das ganze Unkraut entfernen und einen gepflegten Vorgarten und auch einen Küchengarten bezwecks der autarken Gemüseversorgung anlegen würde.
Sie dachte ja gar nicht daran! Ihr gefiel das blühende Kraut.
All right, ein wenig eindämmen mußte man es wohl, sonst fand man irgendwann unter dem wuchernden Gestrüpp das ganze Gebäude nicht mehr. Aber Janet hatte kein Interesse daran, sich drei Viertel des Tages damit herumzuplagen, jedes noch so winzige Unkräutlein auszujäten, den Rasen stoppelkurz zu halten und so weiter.
Sie würde per Inserat einen ›rüstigen Rentner‹ suchen, der von Zeit zu Zeit einmal seine ordnende Hand über das Grundstück reckte.
Darüber hinaus würde sie sich auch einen großen Hund anschaffen, Typ ›Mondkalb‹, der möglichst laut bellte, möglichst bissig aussah und möglichst dafür sorgte, daß grimmige Nachbarn dem Haus fernblieben. Zumindest, wenn sie kamen, um sich über den verwilderten Zustand des Hauses zu beschweren und Janet zu belehren, wie sie es in dörfliche Einheitsordnung zu bringen hatte.
Schließlich waren sie ein paar Jahre damit zurechtgekommen, als das Grundstück verwilderte, weil der Eigentümer verstorben war und sich niemand mehr darum kümmerte. Da konnten sie es auch weiter so hinnehmen. Gewohnheitsrecht, so sagte sich Janet Baker spöttisch. »Genau das ist es.«
Sicher, es war nicht gut, es gleich auf Ärger mit der Nachbarschaft anzulegen, und sie suchte nach einer Möglichkeit, Frieden zu schaffen, ohne den Wildgarten zähmen zu müssen.
Jetzt mußte sie aber erst mal das Fenster zähmen. Das sprang nämlich einfach auf!
Ein kühler Windhauch streifte Janet, und die Gardine legte sich wie ein Schal um ihren Hals und auch den Kopf.
Verärgert schlug sie das Teil zur Seite, wandte sich um und knallte das Fenster mit einem heftigen Ruck wieder zu.
In ihrer alten Wohnung in der Stadt hätte jetzt sofort das Telefon gerasselt, und mindestens einer der Mitbewohner hätte sich über das Fensterknallen zu nächtlicher Stunde beschwert.
Für einen Moment schien es so, als hielte das Fenster jetzt sogar dicht.
Aber dann begann sich die Gardine schon wieder zu bewegen, und Janet spürte auch wieder den Windhauch.
Nein, verflixt, es war doch keine so gute Idee gewesen, jetzt schon hier zu übernachten.
Sie überlegte, ob sie nicht wieder nach Southhampton zurückfahren sollte. Da stand außerdem noch ihr Bett anstelle einer Luftmatratze.
Aber es war eine weite Fahrt, und es war schon spät, und morgen dann wieder hierher zurückzufahren?
Schulterzuckend wandte sich Janet ab, um das Zimmer zu verlassen.
Da sah sie die Gestalt am Fenster!
***
Anson Wrighley, mit 55 Jahren der jüngste Witwer in Broadwindsor, war ein Nachtvogel. Niemand wußte, wie er es schaffte, schon früh am Morgen auf den Beinen zu sein, den harten Arbeitstag hinter sich zu bringen und dann trotzdem noch bis zwei, manchmal bis drei Uhr nachts aktiv zu sein.
Böse Zungen behaupteten, seine unglaubliche Vitalität habe seine Göttergattin in den Tod getrieben. Noch bösere Zungen behaupteten, Wrighley habe die Seele seiner Frau dem Teufel verkauft, um mit drei, vier Stunden Schlaf pro Tag auszukommen.
Er ging ja auch nicht jeden Sonntag in die Kirche, und nichts, was jünger war als er und dazu weiblich, war vor ihm sicher.
Zumindest letzteres entsprach den Tatsachen.
Und Anson Wrighley stellte bereits Überlegungen an bezüglich der neuen Nachbarin. Sie war jung und hübsch. Und sie beide hatten auch schon ein paar Worte auf der Straße miteinander gewechselt.
Nebenher hoffte er, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden zu können. Natürlich mußte das Haus der jungen Lady von Grund auf renoviert werden, und Wrighley war in Sachen Handwerk ein Allround-Talent. Von Beruf Installateur, konnte er auch zimmern, er kannte sich mit Elektrik aus und hatte zudem nahezu jede Wohnung im Dorf im Zuge der Nachbarschaftshilfe tapeziert, wenngleich man ihn auch immer ein wenig mißtrauisch beobachtete. Die Leute in Broadwindsor waren zwar ein recht bigottes Völkchen, aber wenn sie Wrighleys Hilfe wollten, vergaßen sie vorübergehend, daß sie ihn für einen Verbündeten des Teufels hielten.
Hinterher, in der Kneipe oder beim allnachmittäglichen Kaffeeklatsch der dörflichen Tugendhüterinnen, da zogen sie dann trotzdem über ihn und
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