0612 - Eine Nacht im Hexenschloß
seiner Klinge klebte Blut. Sie hielt ihn noch in der Hand und wollte ihn gerade zur Seite legen, als sie die Nachricht wie ein Blitzstrahl traf.
In ihrem Gehirn schien etwas zu explodieren, das nicht dorthin gehörte.
Jane blieb steif stehen, den Kopf vorgebeugt, nach innen horchend und dabei versuchend, Kontakt mit der Person aufzunehmen, die sich bei ihr gemeldet hatte.
Eine neutrale Stimme schwebte durch ihren Kopf, die ihr eine Botschaft überbrachte.
»Willkommen, Schwester…«
Also doch. Schwester war sie von der anderen Person genannt worden. Die Unbekannte hielt sie für eine Hexe, und Jane schüttelte automatisch den Kopf, ohne allerdings eine Antwort zu formulieren.
»Ich freue mich auf dich und auf ihn, Schwester. Ihr beide werdet eine Nacht im Hexenschloß verleben.«
»Ach ja?«
Kicherte die Unsichtbare? »Natürlich, Schwester. In diesem Zimmer. Es ist das Hochzeitszimmer, und das Blut auf dem Laken hat doch auch eine bestimmte Bedeutung.«
»Gehört es zu dir?«
»Nein, Schwester, nein. Es gehört demjenigen, dem ich meine Gunst gab. Er war verrückt nach mir, als er mich sah. Alle Männer werden verrückt, wenn sie mich sehen. Das Schloß gehört mir, ich lasse es nicht mehr aus meinen Klauen. Auch du wirst hier eine wunderbare Nacht verbringen. Weshalb hast du deinen Mann nicht mitgebracht?«
»Er ist nicht mein Mann!«
»Ich nehme es auch nicht so genau, aber ich will, daß ihr die Nacht hier verbringt.«
»Und wenn wir uns weigern?«
»Schwester, das wirst du nicht. Du kannst dich überhaupt nicht weigern. Ich regiere hier. Du wirst bestimmt dein Vergnügen haben. Ich gebe dir noch die Möglichkeit, die anderen Zimmer zu durchsuchen. Und denke immer daran, daß ich in deiner Nähe bin. Dieses Schloß sieht harmlos aus, Schwester, aber es hat es in sich.«
Jane wollte noch eine Frage stellen, allein, es war zu spät. Die Hexe hätte sich auf ihre Art und Weise verabschiedet und ließ Jane Collins in der bedrückenden Stille zurück.
Eine Unbekannte hatte zu ihr gesprochen. Sie wollte, daß sie mit John Sinclair eine Nacht in diesem Zimmer, in dem blutbefleckten Bett vor ihr verbrachte, wo jemand vor kurzem noch gestorben war.
Oder nicht?
Jane zwinkerte, sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, denn das Blut war verschwunden.
Wir frisch gebügelt lag das Laken vor ihr. Wenn sie nicht alles täuschte, verströmte es sogar einen blumigen Duft, der ihre Nase kitzelte.
Jane begriff die Welt nicht mehr. Es hatte auch keinen Sinn, darüber nachdenken zu wollen. Sie war mit Schwarzer Magie praktisch erwachsen geworden und nahm die Phänomene so hin, wie sie sich ihr präsentierten.
Sie drehte sich wieder um – und bekam soeben noch mit, wie der Dolch und der Schädel durch die Tür huschten. Es war zu spät, um sie festzuhalten. Jane sprang zwar hinterher, griff aber ins Leere, weil die beiden Gegenstände zu schnell waren.
Nach links waren sie weggehuscht, hinein in den Gang. Jane wollte ihnen folgen, aber die Tür klappte zu. So schnell und blitzartig, daß Jane fast von ihr im Gesicht getroffen wäre. Im letzten Augenblick konnte sie zurückspringen und lauschte dem Echo des Knalls nach, mit dem die Tür zugefallen war.
So leicht gab Jane nicht auf, faßte nach der Klinke und schaffte es nicht, sie auch um einen Millimeter zu bewegen.
Sie war starr geworden. Jemand hatte den Zimmerausgang magisch verschlossen.
Jane verfiel nicht in Panik. Sie brauchte sich nur umzudrehen, um gegen eines der beiden Fenster schauen zu können. Mit einem Möbelstück würde sie die Scheibe zertrümmern können.
Jane setzte dies sofort in die Tat um. Die Hälfte schaffte sie. Der kleine Stuhl flog gegen eine Scheibe, erreichte das Fenster aber nicht, denn er machte sich dicht davor selbständig und jagte raketenartig durch den Raum, wobei er sich einige Male drehte, die Richtung änderte und Jane in Deckung gehen mußte, damit sie von ihm nicht erwischt wurde. Um Haaresbreite verfehlte er ihren Kopf.
Neben dem Bett landete er und blieb auch liegen.
Jane kam aus ihrer Hocke wieder hoch und hörte das häßliche, feine Lachen.
So lachte nur die Hexe, die für Jane unsichtbar war, aber mit ihren Kräften den Raum hier beherrschte.
»Schwester, es geht nicht. Ich herrsche in diesem Schloß, hast du verstanden?«
»Nicht mehr lange«, flüsterte Jane.
»Warte bis zur Dunkelheit, warte es ab…«
Das würde Jane auch, nur wollte sie die Zeit nutzen. So anregend es ihr auch vorkam, eine lange
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