0614 - Werwolf-Begräbnis
hatte sie an den Handgelenken aufgehängt, und sie schwebte mit ihren Füßen über einem schmalen Teich, in dem es von Bestien nur so wimmelte.
Nicht nur Krokodile sah ich lauernd unter ihr, auch größere Fische schwammen dort. Sie schauten halb aus dem Wasser hervor, ich sah ihre aufgerissenen Mäuler und die messerscharfen Zähne. Ein Krokodil hielt sich im Hintergrund auf, und zwischen seinen Kiefern klemmte noch ein Teil seiner letzten Beute.
Ich hörte Raphaela hart atmen, während meine Hand mit dem Bild nach unten sank. Kein Zweifel, es war Glenda Perkins, und sie trug auch die gleiche Kleidung, die sie am Morgen im Büro angehabt hatte. Die schwarze Satinhose und den rostfarbenen Pullover mit dem leicht angedeuteten Rollkragen.
»Reicht dir der Beweis, Geisterjäger?«
Es interessierte mich nicht, wie gut sie über mich und meinen Spitznamen informiert war, ich fragte sie nur, ob ich noch kurz telefonieren könnte.
»Bitte, Sie wollen bestimmt Glenda anrufen.«
Schweigend ging ich zum Telefon, hob den Hörer ab und tippte die entsprechende Zahlenkombination, ohne einen Erfolg verzeichnen zu können, denn bei Glenda hob niemand ab.
»Sie scheint nicht zu Haus zu sein«, bemerkte die dunkelhäutige Frau spöttisch.
Ich legte den Hörer wieder auf und drehte mich langsam um. »Ja, Sie haben recht.«
»Wir holten sie auch.«
Ich ging auf die Frau zu. »Okay«, sagte ich, »okay, Sie haben Glenda Perkins in Ihrer Gewalt, davon gehe ich einmal aus. Aber glauben Sie nur nicht, damit schon gewonnen zu haben.«
»Was soll das heißen?«
»Sie können mit mir alles machen, mich nur nicht erpressen.«
»So haben wir Sie auch eingeschätzt.«
»Dann ist es ja gut.«
»Nein, nichts ist gut, Sinclair. Sie werden die Kleine doch sicherlich herausholen wollen – oder nicht?«
»Wenn ich weiß, wo ich sie finden kann.«
Sie lachte mir rauh ins Gesicht. »Sie wissen das nicht, mein Lieber, aber ich.«
»Dann sagen Sie es mir!«
»Nein, Sinclair, nein, ich werde Ihnen nichts sagen, kein Wort in dieser Richtung.«
»Wie soll es weitergehen?«
Meine Besucherin verlor auch jetzt ihre Ruhe nicht. »Auf diese Frage habe ich gewartet, und ich weiß auch schon einen Weg. Sie werden sich leider an mich halten müssen. Ich will Ihnen sagen, daß uns ein gewisses Schicksal zusammengeschweißt hat.«
»Weiter.«
»Wir sollen eine kleine Fahrt unternehmen. Es ist möglich, daß ich Sie zu Ihrer kleinen Freundin bringen werde.«
»Was geschieht dann?«
Sie hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, jedenfalls keine Einzelheiten. Aber seien Sie versichert, daß Sie den Ort sehen werden, an dem sich Ihre kleine Freundin aufhält.«
»Ich bin einverstanden. Wo steht Ihr Wagen?«
Raphaela schloß den Mantel. »Trauen Sie mir zu, mit einem eigenen Auto gekommen zu sein?«
»Ich traue Ihnen noch viel mehr zu.«
»Danke für das Kompliment.« Sie lachte. »Aber jetzt kommen Sie mit. Ziehen Sie nur Ihr Jackett über und nehmen Sie nichts mit, Sinclair. Wir fahren mit Ihrem Rover.«
»Sie wissen tatsächlich viel über meine Gewohnheiten.«
»Da haben Sie recht. So weiß ich auch, daß sich Ihr chinesischer Kollege und Freund momentan nicht in seiner Wohnung befindet. Das Schicksal hat alles gütig eingerichtet, finden Sie nicht auch?«
Sie bekam auf ihre spöttische Bemerkung keine Antwort von mir.
Ich streifte das Jackett über, den Mantel ließ ich hängen und ging aus der Wohnung, die Raphaela schon vor mir verlassen hatte. Sie wartete auf dem Flur auf mich.
»Hier könnte ich nicht wohnen, Sinclair.« Sie sprach gelassen, als wären wir zwei alte Bekannte.
»Das brauchen Sie auch nicht.«
Sie lächelte wieder. »Wenn ich hier wohnte, würden Sie ausziehen, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich.«
Wir gingen zum Lift und mußten warten, bis er in die Höhe geschossen kam. Ich ließ ihr den Vortritt, und Raphaela schritt aufreizend lächelnd an mir vorbei. In der Kabine lehnte sie sich gegen die Wand und schaute mich an. Die Arme hielt sie dabei unter der Brust verschränkt, die etwas aufgeworfenen Lippen waren abermals zu einem spöttischen Lächeln verzogen.
So lächelte jemand, der genau wußte, daß er sich auf der Siegerstraße befand. Glenda Perkins war ihr Trumpf. Gegen ihn konnte ich beim besten Willen nicht anstinken.
Die Fahrt in die Tiefe dauerte nicht sehr lange. Rasch flitzten die Etagen vorbei. Ich sah keinen Sinn darin, mit ihr ein Gespräch zu beginnen, und auch sie schaute zur
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