0614 - Werwolf-Begräbnis
Ich kann dir den Himmel auf Erden bereiten. Du mußt mir nur vertrauen.«
Gerade das wollte ich nicht. Ich hatte ihr einmal vertraut und war reingefallen. Diesen Fehler durfte ich nicht noch einmal begehen. Ich versuchte, sie wegzuschieben. Es war eine lächerliche Bewegung.
Ebensogut hätte ich auch einen hohen Felsbrocken zur Seite drücken können. Meine Kraft war nicht mehr da.
»Was bist du nur so ungeduldig!« sagte sie und schüttelte den Kopf. »Willst du denn nicht noch einmal die Freuden des Lebens genießen, die ich dir anbieten werde?«
»Nein, ich verzichte.«
Sie schaute mich direkt an. Ihr Gesicht befand sich dicht über dem meinen, höchstens getrennt von der Länge eines Arms. Trotz der relativ schlechten Lichtverhältnisse konnte ich sie genau ansehen und bekam auch den Eindruck, tief in ihre Augen schauen zu können.
Weit hinein in die unergründlichen Pupillenschächte, in denen ich nichts von dem las, was mir ihre Worte versprochen hatten. Diese Person würde nicht von ihrem verdammten Plan abweichen, die war eiskalt.
»Laß mich!« keuchte ich.
Sie ließ mich vorerst nicht. Sekundenlang blieb sie sitzen, starrte mich an, wobei ich ihrem Blick nicht auswich. Dann zuckte sie zurück. »Wie du willst«, sagte sie, »dann wird es eben weitergehen, ohne daß du die Freuden des Lebens noch einmal genossen hast. Du weißt genau, was dir gezeigt worden ist. Auf dem Bildschirm hast du dein Schicksal sehen können. Unsere Magie hat dies ermöglicht. Die Insel ist eine Quelle, eine alte Wolfsmagie hat hier Fuß gefaßt…« Sie verstummte, hob einen Arm und streckte den Zeigefinger in die Höhe. »Hörst du es?« hauchte sie flüsternd. »Hörst du es genau?«
»Was soll ich hören?«
»Jetzt!« zischte sie. »Jetzt!«
Und vernahm es ebenfalls. Dünn und sehr weit entfernt, dennoch ein mir bekanntes Geräusch. Das ferne, schaurige Heulen, wie es nur von einem Wolf stammen konnte.
»Das ist es, John, das ist der Beweis. Das wird dein Werwolf-Begräbnis sein!«
Endlich hatte sie die Katze aus dem Sack gelassen. So also lief es.
Ich sollte das Werwolf-Begräbnis bekommen. Seltsamerweise erschrak ich nicht einmal darüber, weil ich schon damit gerechnet hatte. Durch den Film war es mir gezeigt worden.
»Ja und?«
»Hat dieses Heulen dich noch immer nicht von deinen Plänen abgehalten?« erkundigte sie sich. »Willst du nicht die Freuden des Lebens genießen, es werden deine letzten sein vor dem endgültigen Aus.«
»Ich werde Glenda finden!«
Ihre Worte interessierten mich nicht. Ich hatte versucht, mich zusammenzureißen. In etwa war es mir gelungen, und ich wollte auch auf eigenen Beinen stehen.
Noch lag ich auf der verdammten Matte, rollte mich herunter und zog die Beine an.
Sie schaute zu, lächelte spöttisch und freute sich über meine kraftlosen Bemühungen. »Du willst weg, wie? Du willst einfach von hier verschwinden?«
»Genau.«
»Dann geh!«
Diese Antwort erwischte mich in einer knienden Haltung und machte mich stutzig. »Wieso? Du hast nichts dagegen? Willst mich aus deinen Klauen lassen?«
»Natürlich. Wegen mir kannst du gehen. Laufe hinein in dein Verderben, John.«
Diesen und einen ähnlichen Rat hatte man mir schon des öfteren gegeben. Ich hatte ihn nie befolgt und war stets mein eigener Herr gewesen, was ich auch jetzt sein wollte, obwohl es mir nicht gerade blendend ging, aber da mußte ich durch.
Raphaela hinderte mich tatsächlich nicht daran. Es war schwer für mich, auf die Beine zu kommen. Ich mußte vorkriechen bis zu den Regalen, wo ich so etwas wie eine Stütze fand, die mir den nötigen Halt für weitere Bemühungen gab.
Schließlich stand ich, spürte trotzdem die verdammten Nachwirkungen des Getränks, riß mich aber sehr zusammen und kippte nicht wieder um.
»Ja, du gibst nicht auf«, sagte die Frau. »Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.«
»Wie schön.«
»Es ist übrigens fast dunkel. Jedenfalls kannst du die Dämmerung fast als Nacht ansehen. Sie ist in dieser Gegend sehr intensiv, glaube es mir.«
»Und was bedeutet das?«
»Ganz einfach, mein Freund. In der Nacht oder in der Dunkelheit verwandeln sie sich. Da werden sie zu Werwölfen. Einmal Mensch, einmal Wolf oder nur Wolf.«
Ich schaute sie mit gesenktem Kopf an, bevor ich schwerfällig nickte. »Ja, ich habe mit den Tierchen meine Erfahrungen sammeln können, keine Sorge.«
»Das wollte ich dir auch nur gesagt haben.«
Wenn ich ihr Verhalten hätte einschätzen müssen, wäre
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