0616 - Der König des Schreckens
Türkis oder ein kalkiges Weiß.
Bilder aus den Tiefen anderer Dimensionen. Motive, die dem Künstler von dämonischen Wesen eingegeben worden waren, die er blitzschnell malte, denn Lorenzo bezeichnete sich als einen Schnellmaler, und damit hatte er Erfolg.
Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, da stand das Bild, da war es fertig, exklusiv gemalt für ein besonderes Publikum, das es sofort kaufen konnte.
Ein jeder rechnete damit, an das Werk dieses Künstlers heranzukommen, es ersteigern zu können, aber Lorenzo malte nie mehr als drei Bilder pro Abend.
Derart grell geschminkt trat er immer auf. Man hatte ihn danach gefragt und auch entsprechende Antworten bekommen. Lorenzo wollte sein wahres Ich verbergen und sich den Strömungen ganz und gar unterordnen, die ihn bei seiner Arbeit erfaßten. Dazu gehörte eben auch die Veränderung des Äußeren.
Seine Auftritte liefen stets nach dem gleichen Muster ab. Zunächst erschien er, nahm den Beifall entgegen, bewegte sich ein wenig im Rampenlicht und holte schließlich seine bildhübsche Assistentin, eine Exotin, herbei, die er nur Capri nannte, weil er sie auf dieser Insel kennengelernt hatte.
Capri hatte ihn aus einer Deckung heraus beobachtet, denn als Lorenzo mit den Fingern schnippte, war das für sie das Zeichen, die Bühne zu betreten.
Sie kam, sie schritt, sie swingte über die Bretter, und sie wurde vom Licht der Scheinwerfer begleitet.
Die männlichen Besucher bekamen große Augen, als sie das Wesen sahen. Es war perfekt, wenigstens für sie. Langbeinig, gazellenhaft, die dunkle Haut mit einem Hauch eines weißen Trikots bedeckt. Das schwarze Haar mit Flitter bestreut, das Lächeln breit, die Zähne blitzend, ebenso wie der Lidschatten.
Sie ging wie ein Nummerngirl aus irgendeiner billigen Show. Das allerdings war sie beileibe nicht. Wer näher hinschaute, erkannte schon ihre Klasse.
Wer zu den absoluten Fans des Malers gehörte, der wußte auch, daß Capri ihm die Mal-Utensilien brachte. Sie schob immer das Gestell herein, auf dem die Farbtöpfe und die Leinwände standen, die Pinsel und andere Arbeitsmittel lagen.
An diesem Abend war es anders.
Leichte Unruhe breitete sich unter dem Publikum aus, weil Capri ohne das Gewohnte erschien.
Statt dessen trug sie auf beiden Händen einen rechteckigen, länglichen Kasten, der wegen seiner geringen Höhe schon an ein übergroßes Etui erinnerte.
Dem Publikum zunickend, fand sie ihren Weg zu Lorenzo, dem großen Künstler, von dem einige behaupteten, er hätte den Wahnsinn gepachtet. Das aber waren Neider.
Lächelnd stellte sie das Etui vor Lorenzo hin, verneigte sich vor den Zuschauern und verschwand mit schnellen, beinahe schon trippelnden Schritten.
Kein Beifall begleitete sie, es blieb fast so still wie in einer Kirche.
Lorenzo hatte noch kein Wort gesprochen. Auch jetzt sagte er nichts, als er sich vorbeugte, die Knie dabei durchdrückte und in dieser gebückten Haltung den Deckel des rechteckigen Kastens nach oben schnellen ließ.
Zwar strahlte die Lichtfülle der Scheinwerfer auch in den Kasten, aber sein Inhalt konnte von den Zuschauern nicht gesehen werden, sie saßen einfach zu tief.
Wohl blitzte etwas aus der unteren Hälfte hervor, als hätte sich das Licht in einem goldenen Gegenstand gefangen.
Die geheimnisvollen Reflexe sorgten für eine noch größere Neugierde der Zuschauer. Manche stießen sich gegenseitig an, stellten mit ihren Blicken die stummen Fragen, überlegten, krausten die Stirnen, hoben die Schultern, aber keiner traute sich, eine Frage zu stellen.
Lorenzo wußte Bescheid, erhöhte die Spannung dennoch, denn er bewegte sich sehr langsam. Es kam schon einer pantomimischen Extraleistung nahe, was er da vollführte.
Über den schmalen Kasten gebeugt, ließ er seine Hände an der Kehle entlanggleiten, als wollte er sie sich langsam aufschneiden.
Dabei zeigte sein Gesichtsausdruck einen panischen Schrecken, der in eine schon leichenhafte Starre hineinglitt, als er andeutete, wie er die Waffe in sein Herz stoßen wollte.
Danach kippte er.
Zuerst nach rechts, dann in die andere Richtung, nach vorn ebenfalls und auch nach hinten. Er schwankte wie ein Rohr im Wind, verdrehte die Augen. Die Lippen zuckten; er faltete die Hände wie zum Gebet, drückte sie dann in die Höhe, als wollte er irgendeine Kreatur anflehen, um einen Moment später zusammenzusinken. Er rollte seinen Körper ineinander wie ein Schlangenmensch. Lorenzo schien Knochen aus Gummi zu haben.
Die Besucher
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