0616 - Der König des Schreckens
geisterhafte Gesicht im Zentrum, den warnenden Ausdruck und drehte mich, einem Gefühl folgend, um.
Da sah ich es!
Wie ein Messer fuhr mir der Schrecken durch die Glieder.
Gewaltig wie ein Schwert schwebte es genau über meinem Kopf und raste in die Tiefe…
***
»Terra pestem teneto – Salus hic maneto!«
Ich schrie dem fallenden Messer die Aktivierungsformel entgegen.
Es war mehr ein Gebet als ein Schrei, denn nun konnten mir nur noch die Kräfte des Kreuzes helfen oder die des Sehers, der Person, die drei in einer verbarg.
Und sie halfen!
Plötzlich schien sich das Kreuz genau in der Mitte zu öffnen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Eine Lichtaura entstand vor meinen Augen. Ich war wie von Sinnen und erkannte gleichzeitig den Trichter innerhalb der Aura, die auf das Messer wie ein Magnet wirkte und es kurzerhand an sich riß.
Drei Gesichter rahmten die Aura ein.
Die Gesichter des Sehers.
Einmal Nostradamus, dann die Züge König Salomons, und das dritte Gesicht gehörte mir.
Es war nicht so klar zu erkennen, mehr verschwommen, denn ich lebte ja noch als Person.
Mein Herzschlag raste, als ich mitbekam, wie das Messer aufgesaugt wurde, als wollte es die drei Gesichter innerhalb der Lichtfülle zerstören.
Dann war es weg!
So verschwunden wie auch der verdammte Schädel, denn als ich nach vorn schaute, war mein Blick frei.
Schnaufend atmete ich aus. Meine Knie fühlten sich an, als wären sie mit Gummi gefüllt.
Es gab ihn nicht mehr, der König des Schreckens hatte seinen ersten Auftritt schon nicht überstanden und würde auch keinen zweiten mehr haben.
»Ich habe ja nichts gegen eine warme Winternacht, aber wenn man lange auf dem Boden liegt, wird einem doch kälter!« hörte ich hinter mir die Stimme des Inspektors.
Ich drehte mich um.
Suko stand auf den Beinen. Er schaute sich um, wie jemand, der zum erstenmal sehen konnte. Die Arme ausgebreitet, die Schultern mehrmals hintereinander anhebend.
»Hast du gut geschlafen?«
»Und wie?« Er strich über seine Stirn. »Nur hätte ich gern gewußt, wo sich unsere Freundin Capri befindet. Vorhin ging sie noch an meiner Seite.«
»Sie ist weg.«
»Wie schön.« Die nächste Frage stellte Suko, als er neben mir stehenblieb. »Dann ist der Schädel auch weg?«
»Genau.«
»Und das Messer?«
»Ebenfalls.«
»Dann frage ich mich, was ich eigentlich hier noch zu suchen habe, Alter?«
Ich grinste ihn an, schlug ihm auf die Schulter und versetzte ihn mit meiner Erwiderung in Erstaunen. »Das frage ich mich allerdings auch.« Als ich ihm dann noch seinen Stab in die Hand drückte, wußte er überhaupt nicht mehr, wo es langging.
Statt dessen wandelte er einen alten Weihnachtsspruch ab. »Und wenn das fünfte Häuslein brennt, hast du Weihnachten verpennt…«
***
Nun, so tot war der Ort nicht. Jetzt, wo es mir gelungen war, den Bann des Schädels zu brechen, kamen die Menschen. Zwar wenige nur, aber die durch die Magie ebenso überrascht worden waren wie Suko, bewegten sich weiter, als hätte es die Pause nie gegeben.
Mein Freund und ich hatten beschlossen, keine Erklärungen abzugeben. Wir erkundigten uns nur nach diesem Dr. Moore, der schwerverletzt im Krankenhaus lag, aber durchkommen würde, wie man uns versicherte.
»Dann können wir ja fahren«, sagte Suko und gähnte dabei.
»Fühlst du dich denn fit?«
»Klar, laß dich durch mein Gähnen nur nicht täuschen.« Er grinste.
»Ich muß übrigens nach London.«
»Weshalb denn?«
»In zwei Tagen ist Weihnachten, glaube ich. Und mir fehlen noch sämtliche Geschenke.«
»Mir auch. Trotzdem werde ich dir etwas geben.«
»Was denn?« Suko zog die Wagentür auf.
»Mein Vertrauen.«
»Danke, das bekommst du zurück.«
»Fein.«
Lachend nahmen wir im BMW Platz und schlugen uns gegenseitig auf die Schultern. Beide waren wir froh, Littleport verlassen zu können, und noch mehr freuten wir uns darüber, daß kaum ein Bewohner etwas von diesem Schrecken mitbekommen hatte…
ENDE
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