0616 - Duell der Vampire
Bleistiftzeichnung. Sie verwischte, weil das Graphit auf dem glatten Kunststoff nicht richtig haften konnte.
Gryf spürte keine Erleichterung.
Auch jetzt gelang es ihm noch nicht, das Haus zu verlassen. Und seine Para-Kräfte wirkten immer noch nicht wieder. Er konnte weder per zeitlosem Sprung verschwinden noch Gedanken lesen oder sonst etwas tun. Er fühlte sich krank und hilflos.
Er dachte wieder an Stygias Büttel Jackson, der ihn mit einer magischen Kugel niedergeschossen und ihn damit vorübergehend seiner Druiden-Fähigkeiten beraubt hatte. Die Symptome waren ähnlich, nur kam hier auch noch seine enorme Entschlußlosigkeit hinzu.
Aber hier hatte doch niemand auf ihn geschossen!
Seine Gedanken schweiften ab; er konnte sich nicht länger auf dieses Thema konzentrieren. Er sah wieder die verwischte Mini-Zeichnung an.
»Was tust du da?« fragte Carina.
»Nichts«, sagte Gryf. Eigentlich wollte er sie noch einmal bitten, nach draußen zu gehen. Die unfaßbare Gleichgültigkeit in ihm drängte den Wunsch jedoch zurück.
Er ließ Carinas Hand los.
»Schon gut«, murmelte er.
Sie kehrte zurück und trank einen Schluck Wein. »Laß noch etwas für Gryf in der Flasche«, bat Sue.
»Nicht nötig«, murmelte er. »Ist doch egal…«
»Nein, trink ruhig«, forderte Sue ihn auf. Warum ? Was brachte es ihr ein, wenn er noch einmal trank?
Wenn er wenigstens ihre Gedanken hätte lesen können!
Aber dann war er schon wieder davon ab. Warum sollte er sich den Kopf darüber zerbrechen? Er löste sich von der Tür, folgte Carina ein paar Schritte - und blieb stehen.
Er sah wieder ein magisches Muster.
An der Tischkante.
Noch weniger deutlich als das Zeichen am Türrahmen.
Ich muß herausfinden, was das ist! Unbedingt! dachte er.
Aber wozu? Er hatte vorher ohne dieses Wissen gelebt, er würde auch hinterher ohne leben können.
Oder sterben!
Er sah, wie Carina noch einen Schluck nahm. Vorhin, als sie sich erstmals zugeprostet hatten und Gryfs Telepathie noch einmal wieder zu funktionieren schien, hatte sie gedacht: »Auf die Toten.«
Plötzlich ahnte der Druide, daß ihm der Tod näher war als jemals zuvor in seinem langen Leben.
Es regte ihn allerdings nicht sonderlich auf…
***
Der mit einer MPi ausgerüstete Wachmann am Tor hatte Tan Morano nicht aufgehalten. Der Vampir hatte ihm den hypnotischen Befehl gegeben, ihn passieren zu lassen. Morano fuhr den Rolls-Royce bis nahe ans Haus.
Hier parkten noch andere Edelschlitten. Cadillac, Oldsmobile, Porsche, Mercedes, Ferrari, sogar ein Excalibur war vertreten. Der gemietete Rolls paßte recht gut in diese Versammlung.
Eine Band spielte lateinamerikanische Rhythmen. Einige Pärchen tanzten auf dem großen Freigelände zwischen Haus und Swimmingpool. Andere hielten Smaltalk am Büfett. Ein paar weißbefrackte Bedienstete wuselten zwischen den Gästen hin und her und sorgten für Getränkenachschub. Morano fischte eine Sektschale ab und nippte daran.
Er entdeckte Sylka in der Nähe des Pools, in dem sich ein paar Mädchen vergnügten; eines in voller Bekleidung und die drei anderen splitternackt.
Sylka, in einen Hauch von Transparenz über einem winzigen String-Tanga gekleidet, sprach mit einem Mann in völlig schwarzem Outfit. Der wandte plötzlich den Kopf und sah Morano. Er hob eine Hand, und zwei Weinfräcke ohne Tabletts näherten sich dem neuen Gast unauffällig von zwei Seiten.
Der Schwarzgekleidete trat auf Morano zu. Sylka folgte ihm. Sie drehte sich dabei einmal um sich selbst, ließ das durchsichtige, locker fallende Kleidchen wehen und fiel Morano in die Arme. »Schön, daß du gekommen bist«, rief sie.
»Dü kennst den Mann?« fragte der Schwarzgekleidete.
»Du kennst den Mann?« fragte der Vampir.
»Wir sind uns über den Weg gelaufen, als ich das hier einkaufte«, sie zupfte an dem transparenten Etwas, »und er hat mich eingeladen. Ich dachte, warum soll ich allein zur Fete? Ich freue mich, daß du auch hier bist.«
»Mein Name ist Calderone«, sagte der Schwarzgekleidete. »Rico Calderone. Und wer sind Sie?«
Morano stellte sich vor.
Calderone trat dicht an ihn heran. »Warum sind Sie hier?« fragte er so leise, daß nicht einmal Sylka etwas davon mitbekam. »Sind Sie von ihr geschickt worden?«
»Wen meinen Sie, Calderone?« fragte Morano.
»Sie sind doch nicht einfach so hier«, sagte Calderone. »Gehen Sie, schnell. Ihr Mädchen können Sie gern mitnehmen. Und sagen Sie ihr, daß ich mich weder bespitzeln noch unter Druck setzen
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