0617 - Das Blut der Mumie
Tür auf und betrat das Haus.
Eine dumpfe, muffige Wärme umfing sie wie ein dicker Mantel.
Die Heizung lief auf vollen Touren. Im Wohnzimmer, das durch einen kleinen Anbau größer geworden war, machte sie an verschiedenen Stellen Licht und ließ sich aufseufzend auf die große Couch fallen, deren Polster mit dicken Kissen belegt waren.
Ann Tobey hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, nach Feierabend einen Drink zu mixen. Sie liebte die Mischung aus Wodka und Martini. An diesem Abend verzichtete sie darauf, obwohl sie einen Schluck nötig gehabt hätte. Statt dessen griff sie zum Telefon, hielt den Hörer in der Hand und dachte nach. Die Zähne spielten mit der Unterlippe. Ann wußte nicht so recht, ob sie es versuchen sollte.
Schließlich legte sie den Hörer wieder auf, griff zum Telefonbuch und schrieb die Nummer von Scotland Yard auf, denn ihr war eingefallen, daß Ibrahim von Sinclair als einem Yard-Bullen gesprochen hatte.
Sie erreichte die Zentrale, erkundigte sich nach John Sinclair. Der Mann stellte durch, bekam aber keinen Anschluß, so daß er sich wieder bei ihr meldete.
»Hören Sie, Madam, es tut mir leid. Mr. Sinclair befindet sich nicht im Haus.«
»Das ist schlecht!« sagte Ann spontan.
»Wie wäre es mit einer Nachricht?«
»Würden Sie ihm die…?«
»Klar, Madam, ich sorge dafür, daß sie so schnell wie möglich weitergeleitet wird.«
»Gut, dann notieren Sie sich folgendes.« Sie holte tief Luft, bevor sie sprach. Es waren nur wenige Sätze. Ann sprach langsam, damit der Mann mitschreiben konnte. Er versprach ihr, die Nachricht dem Oberinspektor so schnell wie möglich zukommen zu lassen, damit er Ann Tobey zurückrufen konnte.
Nach diesem Gespräch fühlte sie sich besser. Sie ging an den Barschrank und mixte sich den Drink. Dreiviertel Martini, den Rest füllte sie mit Wodka auf, rührte den Drink durch und wanderte mit dem Glas in der Hand durch das große Zimmer, wobei sie vor dem breiten Fenster stehenblieb und einen langen, nachdenklichen Blick nach draußen in den dunklen Garten warf, wo sich die kahlen, winterlichen Bäume und die Mauer wie Schatten abzeichneten.
Ann trank in langsamen Schlucken. Nach einem hektischen Tag sorgte auch der abendliche Drink für eine innerliche Ruhe. Die wollte sich am heutigen Tag bei ihr nicht einstellen. Innerlich war sie einfach nervös. Sie konnte zwar nicht von einem Flattern sprechen, doch Ruhe fand sie nicht.
Stets mußte sie an ihren Chef Ibrahim Sale denken, der sie noch mit einem Gast besuchen würde.
Als das Telefon läutete, schrak sie zusammen. Hastig stellte sie das Glas ab, kam kaum dazu, sich zu melden, als sie die leicht singende Stimme ihres Chefs vernahm.
»Schön, daß du da bist, Ann.«
»So war es abgemacht.«
»Wir befinden uns bereits auf dem Weg und werden Besuch mitbringen, meine Liebe.«
»Wen denn?«
Sale lachte, bevor er antwortete. »Ich will dir den Namen sagen. Er lautet Herodot.«
»Wie?«
»Überlege genau. Er ist einer der großen Baumeister der Cheops-Pyramide gewesen. Mehr sage ich nicht.«
»Moment mal, Ibrahim. Du willst doch nicht damit sagen, daß du ihn mit zu mir bringst.«
»Das genau will ich.«
»Unmöglich.«
Er lachte schallend in den Hörer. »Nein, nichts ist unmöglich. Nicht bei mir.« Mit diesen Worten hängte er ein und hinterließ eine fassungslose Ann Tobey, über deren Körper eine Gänsehaut geflossen war. Die Frau starrte ins Leere. Sie schüttelte dabei den Kopf und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte.
Daß sich Ibrahim Sale mit ägyptischer Mythologie beschäftigte, wußte Ann. Sie hatte auch stets von ihm zu hören bekommen, daß sie einmal etwas ganz Besonderes erleben würde, aber was ihr Ibrahim da gesagt hatte, konnte sie nicht glauben.
Brachte er wirklich eine Mumie mit?
Sie mußte davon ausgehen, denn bei bestimmten Dingen verstand er keinen Spaß.
Noch einmal rief sie beim Yard an und hinterließ dem Oberinspektor eine zweite Nachricht. Daß sie sich deshalb beruhigter fühlte, konnte sie nicht sagen, jedenfalls blieb ihr nichts anderes übrig, als auf die Mumie und ihren Chef zu warten.
Wer durch die kleine Straße fuhr, wohnte entweder hier oder besuchte jemand.
Ann Tobey sah die Scheinwerfer schon von weitem, als das Fahrzeug in die schmale Straße einbog. Da sie höher angesetzt waren, mußte es sich um ein lieferwagenähnliches Fahrzeug handeln.
Sie wurde nervös. Der Rollkragenpullover war ihr plötzlich zu warm. Er kratzte auf der nackten
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