0618 - Der Mondschein-Mörder
nicht?« fragte Glenda.
»Es ist schon in Ordnung, wirklich.« Die Frau hob die Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich frage mich nur, was die Leute an diesem Roman alles finden.«
»Kann es nicht sein, daß es ganz einfach spannend ist?«
»Ja – schon«, gab sie gedehnt zu. »Aber Spannung ist doch keine vordergründige Sache.«
»Sie sehen das so, andere möglicherweise nicht. Aber lassen wir das. Kann ich das Buch bei Ihnen kaufen?«
»Natürlich, wir haben noch zwei Exemplare vorrätig.«
»Wunderbar.«
Unter der Verkaufstheke holte die Buchhändlerin das Gewünschte hervor. »Soll ich es Ihnen einpacken?«
»Nein, ich nehme es so. Was habe ich zu zahlen?«
Glenda bekam den Preis genannt, ließ sich noch eine Quittung geben und verließ den Laden. Das Buch hatte sie in die rechte Tasche ihres Mantels gesteckt.
Zuerst wollte sie darüber lächeln, dann jedoch dachte sie näher über ihr Gefühl nach. Seit sie das Buch erworben hatte, fühlte sie sich irgendwie anders als sonst. Sie war bedrückter, und gleichzeitig drang eine gewisse Neugierde in ihr hoch.
Glenda Perkins zählte nicht zu den Personen, die nur ein Buch im Haus hatten und mit einem zweiten nichts anzufangen wußten. Sie hatte zahlreiche Bücher gelesen und war auch über die aktuellen Bestseller informiert, sogar durch den neuen Umberto Eco hatte sie sich gewurstelt, aber noch nie zuvor einen dermaßen Drang verspürt, ein Buch zu lesen wie nach diesem Kauf.
Im Büro würden es John oder Suko zuerst lesen, aber sie wollte kurz hineinschauen.
Ein kleines Lokal schien sie förmlich anzulächeln. Es war eine Mischung aus Pub und Bistro, wobei es aussah, als könnten dort Frauen auch allein hineingehen.
Sie betrat den schmalen Schlauch, fand nur wenige Gäste vor und nahm dort Platz, wo das Licht einer gebogenen Stehlampe auf den runden Tisch fiel. Hinter der Theke stand ein junger Mann, der nach Glendas Bestellung fragte.
»Einen Kaffee, bitte.«
»Espresso?«
»Gut.«
Als die Maschine zischte, hatte Glenda das Buch bereits aufgeschlagen und las den ersten Satz.
»Der Killer wird jeden erwischen!«
»Was sagten Sie?« Der junge Mann brachte die kleine Tasse, er hatte Glendas Flüstern gehört.
»Nichts, ich sprach mit mir.«
»Okay.«
Glenda las, las weiter, vergaß den Espresso und wurde von einer Welt gefangengenommen, die ihr fremd, unheimlich und gleichzeitig faszinierend erschien, denn das Buch war einzig und allein aus der Sicht des Mondschein-Mörders geschildert.
Er erzählte von einer fremden Welt, beschrieb sie auch, und Glenda mußte sich eingestehen, daß es sich bei dieser Welt um das geheimnisvolle Land Aibon handelte.
Der rote Ryan hatte recht gehabt. Es gab eine Verbindung zwischen dem Buch und Aibon.
Erst jetzt trank sie den Espresso, der längst kalt geworden war. Sie hörte das Lachen des Keepers von der Theke her. »Sie hätten das Zeug früher trinken müssen.«
»Ich weiß.« Glenda schaute hoch. Hinter dem Mann befand sich das Regal mit den vielen Flaschen. Sie alle standen vor einer Spiegelfläche, und darin bewegte sich plötzlich etwas.
Ein Schatten!
Grau und düster…
Glenda wußte genau, daß sie den Schatten bei ihrem Eintritt dort nicht gesehen hatte. Und es war auch niemand in das kleine Bistro gekommen, der sich dort hätte abzeichnen können.
»Was haben Sie denn?«
»Hinter Ihnen«, flüsterte Glenda.
»Ach, Sie wollen etwas trinken…?«
»Nein – nein, drehen Sie sich um!«
Das tat der Keeper, sah den Schatten ebenfalls, schüttelte den Kopf und gurgelte plötzlich auf, denn aus der Spiegelfläche war etwas hervorgestoßen und hatte sein Gesicht erwischt.
Ein Messer oder ähnliches, denn aus der Wunde spritzte Blut, als der Mann über der Theke zusammenbrach.
Im Nu war auch Glenda Perkins auf den Beinen. Sie konnte sich nicht rühren. Was sie innerhalb weniger Sekunden erlebt und gesehen hatte, war einfach furchtbar gewesen.
Der Keeper lag über der Theke. Außer Glenda befand sich kein weiterer Gast im Lokal.
Blut tropfte aus der Gesichtswunde in Richtung Fußboden und landete auf der Trittstange.
Glenda suchte den Schatten. Sie wollte einen Arzt alarmieren, die Polizei ebenfalls, tausend Dinge auf einmal tun.
Sie kam sich vor wie in einer Klammer. Ihr Zeitgefühl war verlorengegangen. Waren Sekunden oder Minuten verronnen?
Glenda konnte es nicht nachhalten. Sie alarmierte den Rettungsdienst und rief auch im Büro an, wo sich Suko meldete, denn John befand sich noch
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