062 - John Flack
hätte sie wohl das wenige, was von ihren Kleidern noch übrig war, ablegen können, aber vielleicht lag schon hinter diesen Felsen die Zivilisation. Sie band ihre nassen Schuhe und Strümpfe zusammen, befestigte sich das Bündel um die Hüfte, watete in die See hinein und schwamm in ruhigen Stößen auf die Felsen zu. Lange Zeit suchte sie nach einer Stelle, wo sie bequem an Land steigen konnte und fand sie endlich in einer stufenförmigen Pyramide, die leichter zu erklettern schien, als sie es in Wirklichkeit war - nach mühsamem, hartem Klettern erreichte sie den Gipfel.
Hier war der Strand kürzer, das Kliff dagegen viel höher. Über den Kamm des Felsen hinweg, der nach der See hinauslief, sah sie die weißen Häuser von Siltbury, und dieser Anblick gab ihr neuen Mut. Der Abstieg von dem Felsgrat war noch schwieriger als das Hinaufklettern, und sie war froh, als sie schließlich auf einem flachen Uferfelsen saß und ihre schmerzenden Füße in das Wasser hängen ließ. Auch die letzte Strecke am Ufer, die sie durchschwimmen mußte, nahm ihre Kräfte aufs äußerste in Anspruch. Fast eine Stunde dauerte es, bis ihre Füße den festen Sand berührten und sie sich endlich auf den Strand schleppte. Hier ruhte sie sich aus, bis der quälende Hunger sie auf das letzte, sichtbare Hindernis zutrieb.
Aber es gab noch eins, das ihr noch nicht sichtbar war. Nach einem Marsch von einer Viertelstunde fand sie den Weg von einer tiefen Meeresströmung versperrt, die unter den überhängenden Felsen lief. Sie hatte doch diesen Platz schon früher gesehen . . ., wo war denn das nur gewesen . . .? Und dann, mit einem Ausruf der Überraschung, erinnerte sie sich.
Das war ja die Höhle, von der Olga Crewe gesprochen hatte; die Höhle, die sich bis unter Larmes Keep hinzog. Sie beschattete die Augen und blickte in die Höhe. Ja, dort war der kleine Erdrutsch; Teile der Mauer, die mit weggerissen waren, ragten noch aus dem Geröllhaufen heraus der auf der Kliffseite lag. Auf einmal bemerkte Margaret etwas, was ihr Herz schneller klopfen ließ. Am Rande des tiefen Kanals, den das Wasser in den Sand geschnitten hatte, war die tiefe Spur eines Schuhes, eines Schuhes mit breiter, beinahe viereckiger Spitze und einem Gummiabsatz. Die Spur war ganz frisch. Margaret suchte weiter an der Seite des Kanals entlang und fand eine zweite; sie führte zum Eingang der Höhle. Auf beiden Seiten der scharfkantigen Öffnung im Felsen lag ein schmaler, wellenförmiger Streifen Sand, den das zurückflutende Wasser abgesetzt hatte, und wieder bemerkte sie die Fußspur. Vielleicht ein Besucher der Höhle, dachte sie. Bald würde er wieder herauskommen, und sie könnte ihm dann ihre schwierige Lage erklären, obgleich ihr Äußeres eine Erklärung eigentlich unnötig machte.
Sie wartete, aber niemand ließ sich sehen. Sie bückte sich und versuchte, in die dunklen Tiefen hinabzublicken. Vielleicht konnte sie besser sehen, wenn sie selbst im Innern und aus dem hellen Tageslicht heraus war . . .? Vorsichtig ging sie über den schmalen Sandstreifen hinweg, aber ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte nichts unterscheiden.
Margaret machte einen weiteren Schritt vorwärts und befand sich nun innerhalb des Höhleneinganges, und dann legte sich plötzlich von hinten ein nackter Arm um ihren Hals, eine große Hand drückte sich auf ihren Mund. Entsetzt sträubte sie sich wie toll, aber der Mann hielt sie mit eisernem Griff. Die Besinnung verließ sie, und sie sank leblos in seine Arme.
15
Mr. Reeder war kein Mann, der leicht seine Selbstbeherrschung verlor. Aber jetzt erfuhr Simpson zum erstenmal in seinem Leben, daß dieser ruhige und unerschütterliche Chefdetektiv des Generalstaatsanwalts einen Vorrat an Kraftausdrücken besaß, der seinesgleichen suchte. Er schleuderte dem Beamten eine Frage ins Gesicht, und Simpson nickte.
»Der Wagen ist zurückgekommen. Der Fahrer sagte, er hätte Auftrag erhalten, nach London zurückzufahren. Ich habe angenommen, Sie hätten Ihre Pläne geändert. Sie bearbeiten doch den Raub des Geldtransportes weiter?«
Reeder funkelte ihn über den Tisch weg an, und trotz all seiner Unerschrockenheit zuckte Simpson zusammen.
»Zum Teufel damit!« zischte Reeder.
Simpson sah den wahren Reeder und war sprachlos.
»Ich fahre sofort zurück und werde mir mal den Kriminologen mit dem Affengesicht vornehmen, und er soll einige Arten von Vernehmung kennenlernen, die seit den Tagen der
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