0620 - Die Götzenhöhle
Ganzen.
Der Unheimliche stand auf seiner Seite. Er hatte Belzik nicht verlassen, und er würde ihm helfen.
Ein Lächeln zuckte über das Gesicht des Russen, als er gegen die Schleimmasse schaute, aus deren Tiefe Blasen stiegen, aber an der Oberfläche nicht zerplatzten.
Im Gegenteil, sie lösten sich von der Schleimmasse und trieben durch die dämmrige Höhle.
Seine Wächter und Killer würden alles Fremde abblocken…
***
Trotz der weiten Strecke hatten wir nur eine Rast eingelegt, ein Feuer entfacht und Tee gekocht. Flüssigkeit zu sich zu nehmen, war wichtig bei dieser trockenen, kalten Luft, die ständig mit einem eisigen Hauch gefüllt war.
Schnee tanzte durch die Luft. Immer wieder streifte mein Blick die mächtigen Bergriesen des Altai-Gebirges, dieser mächtigen Gebirgslandschaft, die uns umfing wie ein steinerner Wall.
Schnee, Sand, Steine und Ebenen bildeten eine Landschaft, wie sie auch in der Urwelt hätte gewesen sein können. Menschenleer, kalt, aber dennoch faszinierend, besonders bei Tageslicht, wenn Sonnenstrahlen vom Himmel in die Kälte hineinglitten, die wilden Felsen und Steine betupften und sie mit einem Wirrwarr aus Farben Übergossen. So richtig hoch kam die Sonne im Winter nie, auch jetzt stand sie fast waagerecht wie ein beobachtendes Auge.
An manchen Stellen kam mir die Landschaft vor, als würde sie unter ihrer blassen Lichtflut explodieren, da wirkte das blanke Gestein oft wie große Spiegel.
Ich wärmte die Hände an der heißen Blechtasse. Utak hockte am Fenster und bewegte sich nicht. Sein Blick fraß sich in die Flammen, als wären sie ein Orakel.
Suko war neben mir stehengeblieben. »Was sagst du, Alter?« fragte er leise und war dabei, seine Lippen mit einer dicken Creme einzufetten.
»Ich bin überwältigt.«
»Von Utak?«
»Auch. Noch mehr von der Reise und dieser Landschaft. Das hätte ich mir vor einer Woche nicht träumen lassen.«
»Die Bergwelt ist gigantisch. Und irgendwo in den einsamen Tälern müssen die Nachkommen der Ashaten leben. Jedenfalls ist Utak fest davon überzeugt.«
Ich nickte und fragte gleichzeitig: »Was hältst du eigentlich von ihm?«
Suko hob die Schultern. »Eine gute Frage, John. Er ist schon ein au ßergewöhnlicher Mensch. Ich traue ihm. Utak gehört zu den ehrlichen Typen, so ehrlich wie die Natur hier.«
»Sicher.« Ich schaute zwei großen Vögeln nach, die hoch über uns ihre Kreise zogen. Es waren Raubvögel mit majestätischen Bewegungen und sehr breiten Schwingen.
»Er ist frei«, erklärte Suko, »kann tun und lassen, was er will. Ein perfekter Aussteiger.«
»Wenn es Spaß macht.«
Mein Freund lachte. »Das wäre nichts für dich, John, aber ich könnte es auch nicht.«
Wir drehten uns um, denn Rauch kitzelte unsere Nasen. Zudem zischte es, weil Utak Wasser in die Flammen gekippt hatte, um sie zu löschen. Er trat die Reste zusammen und wartete auf uns.
»Wollen wir weiter?«
»Wir müssen, John.« Sein Gesicht hatte sich verändert. Es war meiner Ansicht nach irgendwie nachdenklicher geworden. Er sah aus, als würde er in Fernen schauen, wo es ein Ziel gab, das nur für ihn allein sichtbar war.
Ich fragte ihn direkt. »Du hast dich in den letzten Minuten verändert, Utak. Was ist geschehen?«
Er legte seine Stirn in Falten. »Es ist eigentlich nichts geschehen, aber ich habe etwas gespürt, das mir nicht gefällt. Meines Wissens befinden wir uns nicht mehr allzuweit vom Ziel entfernt. Wer so lange in diesem Land lebt wie ich, der ist ein Kind dieser Region geworden. Ob Wüste oder Berge, er kennt sich aus, aber er sieht nicht nur die sichtbaren Dinge, auch die unsichtbaren sind ihm bekannt. Die kann er fühlen, die kann er schmecken, die sagen ihm, wenn sich etwas verändert hat. Hier hat sich etwas verändert.«
»Was denn?«
»Ich kann es dir nicht sagen, man muß hier gelebt haben, um es zu spüren. Ich habe dafür eine Erklärung gefunden. Es ist die Botschaft der Toten, die mich erreicht hat. Sie weht mir entgegen, sie ist in der Luft vorhanden…«
»Kannst du dich genauer ausdrücken?«
»Nein, aber dieses Land und das Volk der Mongolen steckt noch immer voller Geheimnisse. Sie besitzen zwar nicht mehr die welthistorische Bedeutung des Mittelalters, als Dschingis-Khan und seine Nachfolger Peking eroberten und Rußland unterjochten, aber einiges ist noch geblieben. Nicht sichtbar, sondern mehr in der anderen Sphäre zu finden, die nur für Eingeweihte bestimmt ist. Ich lebe lange genug hier, um sie
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