0629 - Der Racheengel
wahnsinnig geworden. Dann schaute er mich an und musste wohl mein Entsetzen gesehen haben. »Sind Sie jetzt geschockt?«
»Das kann man wohl sagen«, flüsterte ich. »Mit diesem furchtbaren Geständnis hätte ich nicht gerechnet.«
»Was hätte ich denn tun sollen?«, versuchte er sich zu verteidigen. »Was denn?«
»Nun ja, Sie hätten Sassia freigeben können.«
»Sie freigeben? Die Person, die ich so sehr liebte? Nein, das wäre für mich nicht in Frage gekommen. Ich habe so handeln müssen, um vor mir selbst zu bestehen.«
»Wie ging es weiter?«
»Sie meinen mit Sassia?«
»Sicher.«
»Sie kehrte zurück und hatte nichts gemerkt. Natürlich habe ich mir auch für sie etwas einfallen lassen.« Er lächelte plötzlich, als er sich erinnerte. »Ich führte sie in einen bestimmten Raum meines Hauses, wo die fünf Männer auch gespeist hatten. Dort lagen sie dann, Mr. Sinclair, und Sassia konnte sie sehen.«
»Wie reagierte sie?«, flüsterte ich.
Er hob die Schultern. »Sie stand dicht vor dem Durchdrehen. Sie hat geschrieen, getobt. Sie wollte auch mich umbringen. Das Schwert lag noch dort. Sie packte es und hätte mich beinahe getötet. Ich konnte gerade noch fliehen. Durch die verschlossene Tür hörte ich mir ihre Hasstiraden an.«
»Holten Sie Sassia wieder hervor?«
»Nein, sie war für mich gestorben. Ich ließ sie bei ihren toten Liebhabern.«
»Wann öffneten Sie die Tür?«
»Zwei Monate später«, antwortete er mit tonloser Stimme. »Die Toten lagen noch immer so, wie ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Nur verwest, verändert. Sie brauchen keine Einzelheiten zu wissen. Ich nahm mir die Schädel vor und begrub sie in diesem Wald. Ich suchte mir den stärksten Baum aus und arbeitete bei finsterer Nacht, ohne eine Pause einzulegen. Erst dann war ich zufrieden.«
Er schwieg, und ich tat es auch. Mir fehlten einfach die Worte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen, ihn eigenhändig vor den Richter geschleift und diesem erklärt, mit welch einer Art von Mensch er es zu tun hatte.
Ein fünffacher Mörder!
Weshalb hatte er getötet? Aus Liebe? Oder war es einfach nur verletzte Eitelkeit gewesen? War durch Sassias Neigung vielleicht sein Macho-Trieb angeknackst worden?
»Jetzt wissen Sie alles«, sagte er leise.
Ich gab ihm Recht und griff ebenfalls zur Flasche. In den Verschluss ließ ich den Whisky hineinrinnen, trank ihn. Er gehörte zu der guten, edlen Sorte.
»Alles klar?«, fragte er mich, als ich die Flasche wieder abstellte.
Ich schwieg noch. Da hockten wir im Fond eines Luxuswagens und redeten über Mord. Ein Wahnsinn, den ich irgendwie nicht begriff. Aber das Leben schreibt manchmal die ungewöhnlichsten Geschichten. »Nein, Sir Edgar«, erklärte ich bitter, »es ist noch längst nicht alles klar. Da gibt es noch das Hauptproblem.«
»Welches?«, fragte er schnell.
»Sassia.«
Er schlug den Blick nieder, denn er wusste, welche Frage ich stellen würde. Deshalb kam er mir mit seiner Antwort zuvor. »Sie ist tatsächlich ein Problem, Mr. Sinclair. Nach zwei Monaten betrat ich den Keller. Ich hatte damit gerechnet, sie tot vorzufinden, aber sie lebte noch.«
»Was?«
»Ja, verdammt. Sie kam mir entgegen wie eine Furie. Sie war zu einer Horrorgestalt geworden. Sie war schlimm und grausam. Sie lebte, und sie konnte mir entkommen.«
»Das heißt, sie floh aus Ihrem Haus.«
»Richtig, Sinclair. Das war nicht schwer in der Nacht. Sie entkam und schwor mir Rache.«
»Wie lange liegt das jetzt zurück?«
»Einige Jahre, fast drei.«
»Und in der Zwischenzeit haben Sie nie mehr von ihr und ihren Rache schwüren gehört?«
»Nein.«
Ich stellte eine schlimme Frage. »Haben Sie eigentlich schon darüber nachgedacht, wie sie die beiden Monate hat überleben können, Sir Edgar?«
»Ja! Immer und immer wieder. Die Frage geisterte durch meine furchtbarsten Träume, und ich habe an Kannibalismus gedacht. Ich habe mir die kopflosen Leichen nie näher angesehen und kann Ihnen auch keine genaue Erklärung liefern, Sinclair.«
Darauf wollte ich gern verzichten. »Sie haben Sassia also allein gelassen?«
»Richtig.«
»Haben Sie denn mit einer Rückkehr und ihrer Rache gerechnet, Sir Edgar?«
Er hob die Schultern und schob die Unterlippe vor. »Im Anfang schon. Da habe ich mich mit Leibwächtern umgeben und bin nie ohne sie gegangen, auch nicht in den Club. Sir James wusste natürlich nichts von meinen Problemen. Später ließ die
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