0629 - Der Racheengel
versuchen, sie einfach wegzuzerren. Sassia musste ihren Weg gehen.
Dieses Ereignis lief nicht nach den normalen Regeln ab, wir konnten uns einzig und allein um die Begrenzung des Schadens bemühen.
»Nimm mich!«, rief sie laut.
Und Astarte tat ihr den Gefallen…
***
Obwohl Suko und ich wirklich viel erlebt hatten, gab es immer wieder Momente des Staunens, wie auch in diesem Augenblick, als sich das dunkle, blaue Licht auf dem Boden bewegte und entgegen der Erdanziehungskraft in die Höhe stieg.
Es war einfach wunderbar, beinahe schon vollkommen, denn das Gesicht auf dem Boden drängte sich zusammen und stieg in langen Bahnen an Sassias Gestalt in die Höhe.
Es umgab sie wie ein Vorhang. Sie rührte sich auch nicht. Gestreckt stand sie da, das Schwert zielte mit der Spitze in den dunklen Nachthimmel, auf dem die Sterne als funkelnde Beobachter standen.
Wir konnten zuschauen, wie Sassia einsackte, oder war es nur eine optische Täuschung, weil die blauen Schatten an ihr hochstiegen?
Suko stieß mich an. »Du musst etwas tun!«
Ich hatte die Formel schon auf den Lippen. Dann sprach ich sie aus.
»Terra pestem teneto - Salus hic maneto!«
Und das Kreuz strahlte auf!
***
Um der starken Blendung zu entgehen, musste ich einfach die Augen schließen.
Die vortestamentarische Kraft der uralten Göttin Astarte war einfach zu groß.
Hatte sie das Opfer einmal angenommen, so ließ sie es nicht mehr los. Sassia wurde in die Tiefe gezogen. Durch die helle Decke hindurch, in sie hinein, aber der Boden öffnete sich nicht. Da die Helligkeit das blaue Licht eine gewisse Durchlässigkeit gab, konnten wir beide erkennen, was mit Sassia geschah.
Ihr Körper löste sich auf. Er wurde selbst ein Teil des Lichts und von den anderen Kräften weggezogen. Ein Vorgang, der uns nicht kalt ließ. Aber wir griffen nicht ein. Irgendwie wussten wir beide, dass es einfach dazugehörte. Sassia hatte sehr hoch gespielt, sie würde sehr tief fallen, sie hatte verloren.
Und sie drehte sich noch einmal um, schaute uns an, die Arme gestreckt, das Schwert hoch über den Kopf haltend. »Ich gehe jetzt endgültig zu ihr!«, rief sie uns entgegen. »Ich bezahle für meine Fehler…«
Dabei löste sie sich immer mehr auf. Längst waren ihre Beine nicht mehr zu sehen. Dicht unter dem nicht weichen wollenden Schein des Kreuzes versank Sassias Gestalt.
Sie versickerte und wurde zu einer Beute der Astarte.
Die Hüften vergingen, die Brust war bald nicht mehr zu sehen, und als nächstes würde der Kopf folgen.
Sekunden später war es so weit.
Noch einmal bewegte sie ihren Mund. Ein gellendes Lachen stieß uns entgegen, das Gelächter einer Person, die zwar äußerlich noch lebte, im Innern aber längst tot war.
Auch der Kopf ging ein. Alles verschwamm. Zuletzt das lange Schwert, mit dem sie Halifax getötet hatte.
Von uns wollte Astarte nichts, sie hatte sich ihre Dienerin geholt, wie es vorgeschrieben war.
Stumm standen wir da. Ich schaute auf mein Kreuz, ohne es richtig zu sehen, obwohl sich meine Gedanken um diesen Talisman drehten, der zwar nicht versagt hatte, dem ich jedoch eine gewisse Allmacht oder Superfähigkeit wieder einmal absprechen musste.
Dass sich die Gegend zurück in die Normalität veränderte, merkte ich erst, als mir Suko eine Hand auf die Schulter legte und sagte: »John, hier haben wir nichts mehr verloren.«
»Du hast Recht.«
Wir gingen und wurden von den drei Söldnern fragend angestarrt. Erklärungen gaben wir keine ab.
Vom Wagen her hörten wie die Stimme des Sir Edgar Brake. Er hatte sich betrunken, konnte nur noch lallen und kein vernünftiges Wort mehr hervorbringen.
Ich dachte an den toten Halifax, den ich noch aus dem Wald holen musste, und Suko sprach von einem ermordeten Polizisten.
»Ja, wir werden uns um beide kümmern«, murmelte ich, stemmte mich an der Friedhofsmauer ab und starrte ins Leere.
Hatte es in diesem Fall Sieger gegeben?
Nein, eigentlich nicht. Jeder hatte irgendwie verloren. Auch wir…
ENDE des Zweiteilers
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