0629 - Der Racheengel
trotzdem…«
»Magie, Sir Edgar. Schwarze Magie. Die Kräfte des Teufels, die der Hölle. Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die man durchspielen kann.«
»Und die kennen Sie?«
»Zumindest einige von ihnen. Es ist mein Job, sich mit ihnen zu beschäftigen.«
»Mir hat der eine Fall gereicht.«
»Sie vergessen, Sir Edgar, dass ich mehr Objekt bin und nicht Subjekt wie Sie. Ich bin nicht unmittelbar an den Gräueln beteiligt. Im Gegenteil, ich versuche immer, sie zu verhindern. Aus diesem Grunde haben Sie mich ja geholt.«
»Na ja«, sagte er. »Sie sehen das eben anders.«
»Muss ich auch.«
Wir rollten über einen schmalen Weg und durch eine schweigende, für mich etwas traurig anmutende Landschaft. Es mochte an den dünnen Dunstschleiern liegen, die ihr diesen melancholischen Ausdruck gaben.
Sie hingen in den Büschen wie fahle Tücher. Der Himmel nahm an Dunkelheit zu. Das Grau verdichtete sich. Unterschiedliche Wolkenbildungen waren nicht mehr zu erkennen. Alles war zu einem einzigen Fluss geworden. Da schien es eine Verbindung zwischen Landschaft und Himmel zu geben. Der kurvige Weg endete auf einem Parkplatz, der sich vor dem Gasthaus mit dem Namen »Last Post« ausbreitete.
Er war menschen- und autoleer, hätte wie ein vergessener Flecken Erde gewirkt, wäre das Haus nicht gewesen, an dessen Fassade einige Lampen brannten.
Ich hielt, wollte aussteigen, aber Sir Edgar legte mir eine Hand auf den Arm.
»Ist was?«
Er hob die Schultern. »Genaues kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Sinclair, aber ich werde das Gefühl nicht los, vor einer wichtigen Entscheidung zu stehen.«
»Rechnen Sie mit einer Falle?«
»Keine Ahnung. Sie wollten doch nur Ihren Freund herausholen. Wie wäre es, wenn ich im Wagen bleibe?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Es ist zu gefährlich, Sir. Stellen Sie sich vor, Sie bleiben hier und Sassia erscheint.«
Diese Antwort hinterließ auf seinem Gesicht eine leichte Gänsehaut, und er schluckte.
»Kommen Sie nun?«
»Ja.«
Ich wartete, bis er ausgestiegen war. Gemeinsam schritten wir dem Eingang entgegen.
Kugellöcher in der Außenmauer, Glassplitter von dem leeren Rechteck eines Fensters. Das sah mir verdammt nach einem Kleinkrieg aus, der hier stattgefunden hatte.
Auch Sir Edgar war misstrauisch geworden. Er schob die Schuld jedoch Suko zu. »Ihr Freund scheint aufgeräumt zu haben. Vielleicht hat er auch die Rächerin erwischt.«
Ich gab ihm keine Antwort. Meine Sorgen um Suko wuchsen. Ich beschleunigte die Schritte, blieb aber vorsichtig und beobachtete die gesamte Breite der Hausfassade.
Dicht vor der Tür stoppte ich. Ich wollte mein Gefühl überprüfen. Die knirschenden Tritte des herankommenden Sir Edgar störten mich, übertönten aber nicht die Frauenstimme, die ich nur hörte, weil sie durch die zerbrochene Scheibe drang.
»Kommen Sie herein…«
Ich drehte mich um. »Kennen Sie die Stimme, Sir Edgar?«
»Ja.« Er bewegte seinen Kopf. »Sie gehört der Wirtin. Die Frau heißt Wilma Lane.«
»Also keine Gefahr?«
Sir Edgar Brake strich über das spärliche Haar des Hinterkopfes. »Im Prinzip nicht. Aber heute kann man nie wissen, was einem noch alles widerfährt.«
Ich widersprach ihm nicht. Ich ging den letzten Schritt und drückte die offen stehende Tür nach innen. Gleichzeitig war ich froh darüber, dass nicht nur das Außenlicht brannte, sondern auch innen die Beleuchtung eingeschaltet war: die Lampen über der Theke und unter der Decke.
Gelbe Inseln breiteten sich auf dem blanken Boden aus. Das alles interessierte mich wenig, auch nicht die relativ kleine Wirtin hinter der Theke.
Ich sah das Gleiche wie auch Sir Edgar.
Im Gegensatz zu ihm schwieg ich jedoch. Den Adligen hatte das blanke Entsetzen erfasst, er röchelte, schwankte zur Seite und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
Der Grund war makaber.
Auf der Theke und nebeneinander lagen die aus dem Wald stammenden fünf blanken Schädel…
***
Es war unglaublich, aber wahr!
Der alte Ford glitt in die Höhe. Nicht von Ketten oder Bändern bewegt, nur durch die Kraft der drei auf dem Dach stehenden Männer, die sich sehr dabei anstrengten und deren Haut einen noch intensiveren blauen Schein angenommen hatte.
Zahlreiche Zeugen schauten zu. Und wer es noch nicht sah, der wurde von anderen gerufen, um einen fassungslosen Blick auf dieses einmalige Schauspiel werfen zu können.
Auch Suko beobachtete genau. Im Gegensatz zu den anderen weder staunend noch fassungslos. Er wusste, dass dieser
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