0629 - Der Racheengel
Falten, schluckte, schaute mich an und sah meinem Gesicht an, dass ich ihm nicht beistehen würde.
»Warum?«, wiederholte Sassia.
Sie war die Richterin, er der Angeklagte. Er streckte den Kopf vor. »Das kann ich dir sagen. Ich wollte dich nicht teilen. Ich habe dich ausgesucht, du gehörtest mir…«
Sie lachte scharf in seine Worte hinein. »Ich sollte dir gehören? Kann ein Mensch einem anderen überhaupt gehören? Diese Zeiten sind vorbei, Sir Edgar. Das war einmal, das war früher so, aber heute nicht mehr. Es gibt keine Sklaven, es gibt keine Herrschenden, diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Du hast mich geholt, du hast mich missbraucht, aber du hast meinen Stolz nicht brechen können. Ich war jung, du schon alt. Ja, ich gierte nach Liebe, das stimmt, doch ich wollte die Liebe nicht mit dir genießen, ich war für andere Männer, für jüngere, die zu mir passten. Hast du gehört?«
Er nickte so heftig, dass Schweißperlen von seiner Stirn zu Boden fielen und dort zerplatzten.
»Allerdings habe ich dich unterschätzt. Ich wusste nicht, dass du zu einem fünffachen Mörder werden würdest, und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass du mich ebenfalls töten würdest. Das hast du nicht geschafft. Ich lebe, Sir Edgar.«
»Wie?«, stieß er hervor. »Wie hast du es geschafft, noch am Leben zu sein? Das - das ist eigentlich unmöglich. Du hättest tot sein müssen. Ja, tot.«
»Ich bin entkommen, Edgar.«
»Das sehe ich. Aber…«
Sie unterbrach ihn mit einer harten Handbewegung. »Wenn die Not eines Menschen riesengroß ist, muss er nach einem Halt suchen. Das habe ich getan, ich fand einen Halt, ich fand jemanden, der mich aus meiner Lage befreite.«
»Das kann nur der Teufel gewesen sein!«, schrie er.
»Vielleicht war es der Teufel. Obwohl ich dich immer als Teufel angesehen habe. Aber ich will dich trotzdem nicht im Unklaren lassen, du sollst alles erfahren. Diese fünf Männer und ich standen in einer besonderen Beziehung zueinander. Du hast gedacht, sie würden sich nicht kennen. Ein Irrtum, Sir Edgar. Sie kannten sich sogar sehr gut, denn sie gehörten einer gewissen Gemeinschaft an. Sie alle waren Suchende auf dem Weg, um den Tod zu überwinden. Sie hatten sich längst verkauft an die alte Göttin Astarte. Aus vorbiblischer Zeit, als Israel erst wurde, da entwickelte sich der Kult um die Göttin Astarte. Ich will nicht auf Einzelheiten eingehen, aber dieser Kult sollte wieder entstehen. Baal und Astarte waren damals mächtige Götzen. Die Männer hatten einen Weg zu ihr gefunden. Ihr Geist, ihr blaues Licht war es, mit dem sie getauft wurden, und ich sollte der Mittelpunkt sein. In mir sollte die Göttin wiedergeboren werden. Leider kam es nicht so weit, aber die Göttin oder die Kraft der Göttin half mir, mich aus den Mauern des Hauses zu befreien und mir das Schwert zu überlassen. Ich wusste, dass meine Freunde nicht tot sein konnten, weil das Licht zu mächtig war. Das blaue Licht der Göttin, ihre Seele, die sich spalten und weitere Körper übernehmen kann, wurde zu einem fürchterlichen Werkzeug der Rache, wie es bei deinem Neffen ausprobiert wurde. Er ist tot, ich habe ihn umgebracht, obwohl er nicht als Erster auf meiner Liste stand, es ergab sich so. Als nächster bist du an der Reihe, und ich danke dieser Frau Wilma Lane dafür, dass sie mich versteckt hat, obwohl du mich hast suchen lassen.«
»Wie bist du rausgekommen?«, schrie er.
»Die Kraft des Lichts führte mich. Es löste meinen Körper auf. Vergiss nicht, dass Astarte als Lichtgöttin bekannt wurde, und nicht alles ist Dichtung oder Legende. Mauern existieren für mich nicht mehr. Ich ging und suchte die Köpfe. In den Schädeln ist noch etwas erhalten, das du nicht sehen kannst, ein Rest der Lichtgöttinnenkraft.«
Sir Edgar schüttelte den Kopf. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten und musste sich am Handlauf abstützen. Auch ich war von den Erklärungen der Sassia überrascht worden. Dass der Fall in diese Richtung laufen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Der Name war mir nicht unbekannt. Ich wusste, dass Astarte oder Shera, wie sie auch genannt wurde, eine phönizische Gottheit war, deren Verehrung sich in Verbindung mit dem Baalkult unter den Israeliten zur Zeit der Richterperiode verbreitet hatte und auch im Reich Juda herrschte. Über Einzelheiten war mir nicht viel bekannt, nur dass Astarte auch mit sexuellen Fantasien in Verbindung gebracht wurde. Bisher hatte ich mit ihrer Person nichts zu tun
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