063 - Das Monster lebt
er sagte sich, nun würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis er sich sogar vor seinem eigenen Schatten fürchtete.
Sein Herz schlug schneller, als er den Fuß auf die erste von insgesamt vier Stufen setzte. Spinnfäden legten sich klebrig auf sein Gesicht, und er fegte sie angewidert fort.
Stufe um Stufe stieg er hinauf. Bevor er in den unheimlichen Schatten eintauchte, der vor der Tür lastete, lauschte er.
Hier schien alles so tot zu sein wie drüben auf dem Friedhof.
Was suchte er eigentlich hier? Cuca hatte ihn angeführt. Vielleicht war sie irgendwo in der Nähe versteckt und beobachtete ihn. Hatte sie sehen wollen, wie sich das Monster aus einem Horrorfilm angesichts eines solchen Spukhauses verhält?
Die Dunkelheit schien zentnerschwer zu sein. Sie lastete auf Thaws Seele, und eine innere Stimme warnte ihn davor, weiterzugehen.
Aber was hatte er schon zu verlieren? Zukunft hatte er ohnedies keine mehr. Also was soll's? sagte er sich und versuchte die Haustür zu öffnen.
Zu seiner großen Verwunderung gab die Tür tatsächlich nach. Nun mußte er sich überlegen, ob er tatsächlich weitergehen oder umkehren wollte.
»Was soll's?« brummte er und machte den entscheidenden Schritt, der sein ganzes Leben verändern sollte.
Während sich die Tür bewegte, jammerte sie leise. Thaw achtete darauf, daß sie offenblieb. Vielleicht würde er gleich Fersengeld geben müssen.
Er schritt über einen staubigen Boden. Dann hatte er einen abgetretenen, fadenscheinigen Teppich unter den Füßen.
Das Haus war ziemlich leer. An den Wänden hingen keine Bilder. Was nicht fortgeschafft worden war, war es nicht wert gewesen, daß man sich damit noch abmühte.
»Vielleicht ist diese Cuca pervers angehaucht«, überlegte der Schauspieler. Die verrücktesten Typen leben auf dieser Welt.
Warum sollte es nicht auch ein Mädchen geben, das mit einem Mann wie ihm in einem Haus wie diesem zusammen sein wollte?
»Hallo!« rief Thaw.
Er stand jetzt in der Mitte der Halle, und seine Stimme vervielfältigte sich in dem Haus und wurde zu einem unheimlichen, vielstimmigen Echo.
»Sind Sie hier, Miß Cuca?«
Er glaubte, in der Finsternis eine Bewegung wahrzunehmen, und vielleicht drangen auch tappende Schritte an sein Ohr, aber das alles war so vage, so undeutlich, daß er sich seiner Sache nicht sicher sein konnte.
»Miß Cuca!«
Dieses verfluchte Echo schien ihn auszuspotten. Wer machte sich eigentlich nicht lustig über ihn? Gab es überhaupt noch jemanden auf dieser Welt, der ihn ernst nahm?
Eisige Schauer überliefen ihn, als er plötzlich schwere, polternde Schritte vernahm, und dann glaubte er, guten Grund zu haben, an seinem Verstand zu zweifeln.
Was hatte das zu bedeuten?
Fassungslos starrte er die Gestalt an, die ihm aus der Dunkelheit entgegentrat. Es war kein Mensch, sondern ein Monster.
So sah er aus, wenn er vor der Kamera stand. Gütiger Himmel, er hatte ein Frankenstein-Monster vor sich!
***
Wie gelähmt stand Yapeth Thaw da. Er konnte nicht begreifen, was er sah, war perplex, hatte Angst, denn von diesem bleichen Ungeheuer ging eine spürbare Bedrohung aus.
Ein dicker Kloß saß mit einemmal in seiner Kehle, und er hatte den Wunsch zu fliehen, aber er konnte sich nicht bewegen.
Gebannt starrte er das Monster an, und er redete sich ein, das müsse ein makabrer Scherz sein. Sie trieben ihren Spaß mit ihm noch weiter.
Es genügte ihnen nicht, ihn, den Horrordarsteller, in dieses Spukhaus am alten Friedhof zu locken. Jemand trat ihm auch noch in seiner Filmmaske entgegen, um ihn zu erschrecken.
Teufel noch mal, es war ihnen gelungen. Thaws Herz klopfte wie eine Dampframme. Aber wenn man nur einen geschmacklosen Scherz mit ihm trieb, warum reagierte er dann so heftig auf dieses Ungeheuer?
Es war doch nur ein maskierter Mensch. Vor dem brauchte er sich doch nicht so schrecklich zu fürchten. Thaw versuchte seine Nerven unter Kontrolle zu bekommen.
»Okay!« platzte die Wut aus ihm heraus. »Ich denke, das reicht. Ihr gewinnt den ersten Preis. Geschmackloser geht es wirklich nicht mehr!«
Das Frankenstein-Monster stampfte näher. Thaw wich zurück.
Er glaubte, eine seltsame Glut in den Augen des Ungeheuers zu sehen.
Wie weit wollten die es noch mit ihm treiben? Es kostete ihn sehr viel Überwindung, aber er schaffte es, trotzig stehenzubleiben.
Er ballte die Hände zu Fäusten und wartete auf das Monster. Thaw war nicht nur groß, sondern auch kräftig, und er bedauerte es, daß Stärke heute nicht
Weitere Kostenlose Bücher