0636 - Das Blut der Schwarzen Priester
vergaß die unheimliche Gestalt und auch seinen Schützling, denn der Schmerz brach alle Dämme. Das Bild konnte er nicht mehr halten, es fiel zu Boden, kippte dort um, brannte und verkohlte weiter, wobei ein ätzender Rauch in die Höhe stieg und sich im Raum ausbreitete. Er stieg auch in die Nase des Wächters, der zurücksprang und mit der linken Hand gegen seine verbrannte Rechte schlug, als könnte er den Schmerz dadurch lindern.
Doch die Haut war bereits angesenkt. Sie wirkte auf den Knochen wie zusammengerollt und eingeschrumpelt. Ein schwarzes, knisterndes Etwas, von dem die mörderischen Schmerzen ausstrahlten, die dem Mann die Tränen in die Augen trieben.
Wie er auf die gegenüberliegende Gangseite gelangt war, konnte er selbst nicht sagen. Er wusste nur, dass in der Zelle seines Schützlings etwas Schreckliches vorgefallen sein musste.
James war Polizist. Er hatte es gelernt, eigene Interessen zurückzustellen, deshalb musste er etwas unternehmen, so schwer es ihm auch fiel.
Mit der gesunden Hand wischte er sich das Tränenwasser aus den Augen, während das Bild noch immer brannte, jetzt allerdings mit wesentlich kleineren Flammen.
Es lag so an der Tür, dass es den Spalt verdeckte. Deshalb trat der Mann es zur Seite, damit er die Tür bis zum Anschlag öffnen konnte. Mit Zitterschritten trat er über die Schwelle - und blieb stehen, als hätte ihn jemand vor die Stirn geschlagen.
Das durfte nicht wahr sein, das gab es nicht, aber es stimmte tatsächlich.
Die Zelle war leer!
Keine Spur von Britta Seels, keine Spur von der unheimlichen Erscheinung! Nur die Einrichtung befand sich noch dort. Das Mädchen und der Unheimliche schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.
Der Wärter verstand die Welt nicht mehr. Er stand da und glotzte mit herausquellenden Augen ins Leere, während sich die heißen und kalten Schauer auf seinem Rücken abwechselten.
Er wollte sich setzen. Selbst das schaffte er nicht. Wie in einer Zentrifuge fühlte er sich, die Welt war eine andere geworden, und er dachte gleichzeitig darüber nach, wie er dieses Phänomen erklären sollte. Wahrscheinlich gab es keine Erklärung.
Die Hand schmerzte auch jetzt, als würde flüssiges Metall über sie hinwegfließen. Aber darum kümmerte er sich nicht. James ging wieder durch den Raum und schaute unter dem Bett nach, ob sich Britta womöglich dort verkrochen hatte.
Sie war nicht mehr da, und auch die schwarze Gestalt in ihrer Zelle nicht. Sie hatte sogar glühende Augen besessen, daran konnte sich James deutlich erinnern. Der Teufel wurde des Öfteren so dargestellt. James glaubte zwar nicht an den Teufel, wenn er es aber gewesen war, hatte er Britta buchstäblich in die Hölle geholt.
Über diesen Vergleich schämte er sich, stierte noch immer ins Leere und merkte endlich, dass er wegen seiner Hand etwas unternehmen musste. Die brauchte ärztliche Behandlung.
Der Wächter schreckte erst hoch, als er vom Gang her Schritte vernahm. Jemand rief nach ihm, und James antwortete mit leiser Stimme.
Dann stand Suko in der Zelle. Einen halben Turban auf dem Kopf, denn der Verband war so raffiniert geschlungen worden. Er hatte die verkohlten Reste des Bildes entdeckt, sah den Kollegen auf einem Stuhl hocken und auch dessen Hand.
»Meine Güte, was ist geschehen?«
»Verbrannt.«
»Wodurch?«
James holte Luft. »Das Bild hat es getan. Es - es war furchtbar. Sie malte es mir und…«
»Wo ist sie jetzt?«, unterbrach Suko den Mann. »Bitte, Sie müssen reden! Wo befindet sich Britta?«
»Verschwunden«, flüsterte James. »Sie ist verschwunden. Der Teufel…«, jetzt lachte er, »der Teufel hat sie geholt! Ein schwarzer Teufel mit roten Augen!«
Da wusste Suko, dass dieses Lachen nicht ernst gemeint war und mehr einem Schutz entsprach.
»Wieso ein schwarzer Teufel? Meinen Sie den Schwarzen Priester?«
»Weiß ich nicht.«
Suko sah ein, dass es keinen Sinn hatte, den Mann noch länger mit Fragen zu quälen. Er musste ihn wegbringen, ein Arzt musste sich um die Wunde kümmern.
Auf dem Weg dorthin berichtete James in stockenden Worten, was ihm widerfahren war. Auch davon, dass Britta ihm das Bild persönlich gemalt hatte.
»Und es ging in Flammen auf?«
»Ja, Inspektor, ja. Sie werden es kaum glauben. Mir kam es vor, als wäre das Bild mit bösen Kräften gefüllt, die plötzlich frei kamen und zerstörten.«
»Gut, Mister. Welche Beobachtungen haben Sie außerdem noch gemacht?«
Der Mann schüttelte während des Gehens den Kopf.
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