0636 - Der dunkle Lord
Druidin. In diesen Minuten erhielt sie einen Eindruck davon, was normale Menschen empfanden, wenn sie einen Telepathen vor sich hatten: die Angst, daß ein anderer ihre Gedanken las, ihre intimsten Geheimnisse und seelischen Abgründe erfuhr. Aber hier war es noch schlimmer. Die Menschen, die nicht selbst über Para-Kräfte verfügten, konnten nicht einmal feststellen, ob sie soeben sondiert wurden.
Teri dagegen spürte es.
Und sie fürchtete sich.
Der Dunkle Lord - sie wußte, daß er es war - prüfte sie, erfuhr, wer und was sie war, welche Beziehungen sie unterhielt, mit wem sie bekannt oder befreundet war.
Sie war ihm nackt und hilflos ausgeliefert.
Es war nicht die körperliche Nacktheit - die störte sie nicht. Es war die Nacktheit der Seele. Der Feind hatte ungehinderten Zugriff auf ihr Innerstes.
Und in einem kurzen Flashback sah sie sich in Merlins Armen, in einem Augenblick voller Zärtlichkeit und Lust, in einem Augenblick des Verschmelzens, des Einswerdens…
Ich werde dich töten! dachte sie konzentriert und voller Haß, voller Wut und Ohnmacht. Für das, was du mir hier antust, bringe ich dich um, du verfluchtes Ungeheuer!
Aber ihr Gegner reagierte nicht darauf.
Er lachte sie nicht einmal aus. Er ignorierte ihren geistigen Wutausbruch einfach.
Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, zogen sich die mentalen Finger des Dunklen endlich zurück.
Sie sah ihn vor sich.
Eine Gestalt in einem dunklen Gewand.
Der Lord stand neben Lamyron.
Er schlug die Kapuze zurück, die sein Gesicht bisher überschattet hatte. Ein Puppengesicht, dachte Teri überrascht. Maskenhaft starr, nur die Augen glühten in einer Farbe, die nicht in das normale Spektrum paßte. Eine Farbe, die es überhaupt nicht gab…
»Du bist Merlins Freundin«, sagte der Dunkle Lord. »Er wird alles tun, um dich zu retten. Wir werden ihm eine Botschaft schicken: Wenn er sich mir nicht stellt, werde ich dich ihm zurückgeben - Stückchen für Stückehen, Finger für Finger, Hand für Hand, Arm für Arm… bis du irgendwann tot und für mich wertlos bist, oder bis er deinen Platz einnimmt…«
»Du irrst dich, verfluchtes Monstrum!« fuhr Teri ihn an. »Er wird nichts dergleichen tun. Du kennst ihn nicht.«
»Oh, ich kenne ihn sehr gut«, sagte der Dunkle Lord. Seine Stimme klang hohl, wie aus weiter Ferne. Er lachte höhnisch auf.
»Ich kenne ihn viel besser, als du glaubst… und schon viel, viel länger…«
»Offenbar nicht gut genug!« keuchte Teri entsetzt. »Merlin läßt sich nicht erpressen. Er wird mich opfern. Deshalb bin ich wertlos für dich. Du kannst ihn nicht mit mir als Geisel unter Druck setzen.«
Wieder lachte der Mann mit dem Puppengesicht.
»Versuchen wir es einfach mal, Närrin«, sagte er. Er wandte sich zu Lamyron um.
»Schneide ihr einen… nein, zwei Finger ab. Einen schicken wir Merlin, den anderen Zamorra…«
***
Bertrand und die beiden Mädchen hielten es in der hellen Sonnenglut anscheinend sehr gut aus und dachten gar nicht mehr daran, sich nach unten zum Fluß und in den Schatten zu begeben. Die Neugierde hielt sie vor Ort. Sie wollten wissen, was der Professor und seine Gefährtin jetzt unternahmen.
Wobei Charlotte in mildem Spott den Verdacht äußerte, daß es Bertrand wohl eher darum gehe, Nicole Duvals Anblick zu genießen. »Dabei ist die doch für dich völlig unerreichbar«, raunte sie ihm zu. »Also solltest du deine Aufmerksamkeit lieber mir widmen. Außerdem hab' ich den hübscheren Po…«
Bertrand grinste: »Was du im Moment aber nicht beweisen kannst, weil du ihn in so ’nem Verkehrshindernis versteckst…«
»Das ist kein Verkehrshindernis, das sind meine Shorts!« protestierte Charlotte.
»Haltet doch mal die Klappe, damit der Professor sich konzentrieren kann!« mischte Corinne sich ein und zupfte einen verrutschten Träger ihres Badeanzugs wieder zurecht. »Warum bist du nicht einfach still und ziehst das Verkehrshindernis schon mal aus, wie immer?«
»Frage ich mich auch gerade«, murmelte Charlotte.
Ein wenig fühlte Zamorra sich zwar durch die Zuschauer gestört, aber er fand keinen Grund, sie zu verscheuchen. Solange sie ihn nicht direkt behinderten, mochten sie ruhig zusehen, was er tat. Ein Nachahmungseffekt war nicht zu befürchten. Dafür waren die Zauberformeln zu kompliziert, und an all die kleinen Hilfsmittelchen zu kommen, die sich in Zamorras ›Einsatzkoffer‹ fanden, war auch nicht gerade einfach.
Zudem wußten die Menschen im Dorf nur zu
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