0636 - Der dunkle Lord
nicht in das Denken der spätmittelalterlichen Kirche. So machte man ein Kind des Teufels aus ihm, um überhaupt über ihn schreiben zu können.
Aber war nicht vielleicht doch etwas dran?
Gab es nicht doch eine Verbindung zu LUZIFER?
Merlin selbst sprach nie darüber. Aber er war der Bruder des Asmodis, des einstigen Fürsten der Finsternis. Und Teri entsann sich, was Asmodis einmal zu Merlin gesagt hatte: »Bruder, was hätten wir gemeinsam alles erreichen können, wenn du nicht damals die Seiten gewechselt hättest!«
Merlin also doch einer der Erzdämonen?
Vor über einem Dutzend Jahren hatte auch Asmodis der Hölle den Rücken gekehrt und ging seither als Sid Amos seine eigenen Wege.
»Merlin und ich… wir sind alte Feinde«, fuhr der Lord unterdessen fort. »Sehr alte Feinde. Du wirst mir helfen, ihn zu vernichten.«
Nein, dachte Teri.
»Ja«, sagte sie.
Natürlich würde sie ihm helfen. Gern sogar, obgleich sie es haßte, diesem Ungeheuer mit dem Puppengesicht zu Willen zu sein. Aber sie wollte es; es war fantastisch, etwas gegen den eigenen Willen tun zu müssen.
»Was ist mit Lamyron?« fragte sie.
»Was soll mit ihm sein? Er ist tot.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Teri. »Ich sah in seinen Flügeln deinen Tod.«
Der Dunkle Lord lachte auf.
»Ja«, schrie er heiter. »Das hast du gesehen. Aber du vergißt eines: die Paradox-Magie! Alles ist anders, als es scheint! Und nun wirst du mir den Weg zu Merlin zeigen. Zamorra - er kann noch warten. Um ihn kümmere ich mich später.«
»Paradox-Magie, was ist das?« fragte Teri.
Aber er lachte nur und antwortete ihr nicht.
Statt dessen kam er auf sie zu.
Er streckte die Hände nach ihr aus.
Sie haßte ihn, sie fand ihn verabscheuungswürdig. Und doch hatte sie keinen sehnlicheren Wunsch, als sich ihm bedingungslos hinzugeben und danach alles zu tun, was er von ihr verlangte. Sogar noch mehr als das…
Sie strahlte ihn freudig erregt an. Sie ersehnte seine Berührung.
Und kratzte ihm die Augen aus.
***
Der Cadillac stand.
Der Geflügelte lag ein paar Meter entfernt im hohen Gras und bewegte sich nicht. Sein Schwert war noch weiter davongeschleudert worden.
Raffael Bois schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, murmelte er. »Nein. Das wird Mademoiselle Nicole wirklich nicht gefallen! Was haben Sie da nur angerichtet?«
»Ich habe ein Monstrum plattgefahren«, sagte Corinne trocken. »Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, das sei ein Mensch gewesen? Ich werde mich doch nicht an Menschen vergreifen, ich fahre doch keine Menschen nieder! Das - das war ein Ungeheuer, das…«
»Die Motorhaube! Der Chrom! Die Lackierung!« ächzte Raffael. »Ich bin für den Wagen verantwortlich. Ich habe es zugelassen, daß Sie ihn fuhren. Und jetzt das! Sehen Sie sich an, was Sie gemacht haben!« Er stieg aus und ging nach vorn, beugte sich über die Motorhaube. »Hier, diese Schrammen und eine Beule! Das werden Sie in Ordnung bringen müssen!«
Corinne sah sich zu Bertrand und Charlotte um.
»Sagt mal, tickt der Alte nicht richtig, oder fällt mir der Kitt aus der Brille?«
»Du hast den Engel erwischt«, sagte Charlotte leise. »Du hast ihn - hast du ihn umgebracht? Ist er tot?«
»Engel können nicht sterben«, sagte Bertrand. »Folglich sagt uns die Logik: Wenn er ein Engel ist, lebt er noch. Ist er tot, war er kein Engel. Können wir uns darauf vertraglich einigen?«
»Daß du einen so ausgeprägten Hang zum Zynismus hast, wußte ich bisher nicht«, sagte Charlotte.
Bertrand kletterte an ihr vorbei aus dem Wagen. »Vielleicht sollten wir uns lieber um den Professor und Duval kümmern. Der da«, er wies auf Lamyron, »war ihr Gegner. Also würde ich mir keine Gedanken um sein Wohlergehen machen. Die Verantwortung liegt nicht bei uns.«
»Was meinst du denn damit?« fauchte Charlotte ihn an.
»Es herrscht Krieg. Krieg zwischen Menschen und Dämonen. Und zwar ständig. Da gibt es keine Verhandlungen und keinen Mittelweg. Es gibt nur Leben oder Tod, sonst nichts. Nur Freund oder Feind. Daß der Professor Freund ist, dürfte ja wohl niemand anzweifeln, oder? Also ist dieser Flattermann Feind. Sonst wären sie nicht gegeneinander angetreten. Versteht jemand außer mir diese Logik?«
Corinne begann zu zittern. Aus Versehen berührte sie den Hupring im Lenkrad, drückte darauf. Die Hupe erklang, erzeugte einen Dauerton. Corinne wurde nervös und hektisch, wollte den Lärm abstellen und kam nicht auf die Idee, daß sie selbst es war, die ihn
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