0638 - Das Palazzo-Gespenst
Palazzo wusste, dass wir unter einer Decke steckten, dann würden sie auf Lady Sarah keine Rücksicht mehr nehmen.
Ich musste also etwas unternehmen.
Zunächst einmal hieß das für mich, den Rückweg anzutreten. Nicht den offiziellen, Wege und Straßen waren mir diesmal vergaßt. Ich wollte mich quer durch die Büsche schlagen, um an den Garten heranzukommen.
Dort würde ich mir dann einen Beobachtungsposten suchen, von dem ich alles unter Kontrolle hatte.
Der Weg war beschwerlich, was nicht allein nur an der Umgebung, sondern auch an mir und meinem Rücken lag, denn bei jedem Auftreten zuckten Schmerzen hoch bis zu den Schultern.
Weich war der Boden, an manchen Stellen noch glatt. Da hatte die Sonne die Feuchtigkeit nicht wegdampfen können.
Je mehr ich mich dem Garten näherte, umso vorsichtiger wurde ich.
Ging nie aufrecht, stets geduckt und hörte auch die Stimmen der Gäste, die sich auf den Rückzug gemacht hatten.
Es war für sie sinnlos gewesen, weiterhin nach mir zu suchen. Ich war ihnen entwischt und fertig.
Meine Augen suchten die Umgebung ab. Es gab keine direkte Abtrennung zum Garten hin. Er begann dort, wo die hohen Zypressen aufhörten und der Mensch die Natur kultiviert hatte.
Erst jetzt, als die letzten Bäume hinter mir lagen, entdeckte ich die halbrunde, helle Steinmauer, die im Laufe der Zeit einen bläulichen Schimmer bekommen hatte. Sie musste das gesamte hintere Grundstück umgeben, verschwand manchmal zwischen den Büschen, tauchte dann wieder auf und führte weiter.
Ich kletterte über die Mauer, rollte mich auf der anderen Seite herum und blieb liegen.
Jetzt musste ich abwarten.
Nichts passierte. Keiner kam zu mir, niemand hatte mein Eindringen gesehen.
Durch die Nase atmete ich die würzige Luft ein. Ich kam zu dem Brunnen, den ich schon auf dem Hinweg entdeckt hatte. Dort spie das Löwenmaul ständig Wasser aus. Der Brunnen selbst lag an einer sehr schattigen kühlen Stelle.
Ich konnte zu ihm gelangen, ohne entdeckt zu werden, da mir die Hecken den nötigen Schutz gaben.
Zur Rückseite hin grenzte ihn eine Mauer ab, die allerdings mit ihrer unteren Grenze über der Wasserfläche aufhörte, so dass sich dort ein etwa unterarm hoher Spalt befand, in den das Wasser immer wieder hineinlief, das von dem Löwenanteil ausgespien wurde.
Eine dunkle, zitternde Fläche, bewegt von kleinen Wellen. Vom Wasser her strömte mir eine Kälte entgegen, über die ich mich wunderte. Das Wasser schien eine Temperatur zu haben, die dicht über dem Gefrierpunkt lag.
Lady Sarah hatte mir bei ihrem Alarmanruf einiges erklärt. Unter anderem war die Mörderin in einen Brunnen geworfen worden, nachdem man sie in einen Eisklumpen eingepackt hatte.
War das der Brunnen?
Ich ging davon aus, weil die Kälte einfach passte und sie für mich auch nicht normal war.
Deshalb startete ich einen Versuch. Ich holte mein Kreuz hervor und tauchte es in das kalte Brunnenwasser.
Zunächst geschah nichts, doch dann verstummte plötzlich das Plätschern.
Es wurde still, so still, dass ich sogar das Summen der Mücken hörte und - etwas lauter - ein gewisses Knirschen und Knacken, über dessen Ursache ich mir zunächst keinen Reim machen konnte, bis ich sah, dass sich die Oberfläche des Wassers veränderte.
Sie fing an zu vereisen…
Es war unerklärlich, unheimlich zugleich und dennoch irgendwo auch logisch, denn Venetia, die blutgierige Mörderin, die Gäste aus der Villa getötet hatte, war in einen Eisklumpen eingepackt und schließlich im Brunnen ertränkt worden.
Welcher Dämon oder welche Macht auch immer hinter ihr gestanden haben mochten, sie hatte dafür gesorgt, dass der Geist keine Ruhe fand und so ähnlich tötete, wie sie ermordet worden war.
Nur hatte der Geist einen Platz suchen müssen, wo er sich ausruhen konnte.
Das war dieser alte Brunnen.
Irgendwo merkte ich, wie ein Motor in mir anging. Ich sah wieder Land, hatte einen Teilerfolg errungen und schaute zu, wie das Wasser immer mehr vereiste.
Wenn ich dabei mein Kreuz eintauchte, blitzte es für einen Moment auf, bevor die Vereisung fortschritt.
Ich war sicher, dem modernen Geist diesen Platz genommen zu haben.
Trotzdem hatte ich einen Fehler gemacht.
Ich hätte mehr auf die Umgebung achten sollen. Das Kreuz steckte wieder in meiner Tasche, als ich mich aufrichtete und es mich im gleichen Moment erwischte.
Der Treffer in den Nacken warf mich um. Ich fiel auf den Brunnenrand.
Bevor die Lichter bei mir erloschen, hörte ich noch
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