0638 - Das Palazzo-Gespenst
zuvor haben wir noch eine Überraschung für Sie.«
»Darauf kann ich verzichten.«
»Das glaube ich nicht.«
Lady Sarah dachte über die Überraschung nach. Was konnte es sein?
Seltsamerweise blieben ihre Gedanken immer wieder an John Sinclair hängen. Wollte die Brandi ihr seine Leiche präsentieren.
Sie schritt durch den Gang auf die Halle zu, wo die Gäste warteten.
Einige hatten sich hingesetzt, andere standen vor ihren Stühlen oder den Tischen.
Ihr Raunen floss Lady Sarah entgegen, als sie von den Leuten entdeckt wurde. Einige von ihnen hoben die Arme und klatschten den beiden Frauen zu. Der Beifall erreichte Lady Sarahs Ohren wie ein fernes Rauschen. Sie wollte ihn auch nicht zur Kenntnis nehmen, er kam ihr so höhnisch und so gemein vor.
»Weitergehen!« flüsterte Rosanna Brandi, die Lady Sarah in eine bestimmte Richtung dirigierte, denn für die war ein Stuhl mit Armlehnen freigehalten worden. Dort sollte sie ihren Platz finden und in eine bestimmte Richtung schauen.
Auf den letzten Metern knickte sie noch einmal ein, wurde jedoch von der Frau weitergeschleift. »Pack dich endlich, es dauert nur mehr Sekunden.«
Vor Lady Sarahs Augen verschwamm die normale Welt. Die Wände liefen zusammen. Die Gestalten der Gäste verzerrten sich zu surrealistischen Gestalten, als hätte ein wahnsinniger Maler mit schnellen Pinselstrichen über sie hinweggestrichen.
Ein Alptraum war dieses verfluchte Hotel.
»Wir sind da!«
Die Stimme der Brandi riss Lady Sarah wieder zurück in die Realität. An ihrem Ohr war sie nur mehr als Zischeln zu hören.
Sie hob den Kopf.
Das kalt lächelnde Gesicht der Italienerin erschien in ihrem Gesichtsfeld.
Sarah zwinkerte mit den Augen. Das Gesicht der Brandi war so nahe, dass sie nur diese Person sah und nichts anderes mehr. Sie nahm das Blickfeld voll und ganz ein.
War es eine Täuschung oder hatte es sich tatsächlich verändert? Die Haut - vorhin noch mit einer starken Schicht aus Schminke bedeckt gewesen, hatte einen weißblauen Touch bekommen. Sie sah plötzlich leichenhaft aus…
Und was war mit den Augen? Pupillenlos, nur einfach weiß?
»Setz dich hin!«
Rosanna Brandi drückte Sarah Goldwyn zurück, was sie nicht hätte tun müssen, denn die Horror-Oma knickte von allein ein und fiel schwer auf den Lehnstuhl, dessen Sitzfläche glücklicherweise gepolstert war.
Die Brandi ging zurück. Sie bewegte dabei ihre Beine, berührte auch den Boden, trotzdem sah es für Sarah so aus, als würde sie über den glatten Boden hinwegschweben.
Sie ging, lächelte und trat mit einem tänzerisch anmutenden Schritt zur Seite.
Jetzt gab sie das Blickfeld frei, und Lady Sarah erinnerte sich dunkel daran, dass die Frau von einer Überraschung gesprochen hatte.
Die saß vor ihr.
Ein Mann in einem Stuhl. Regungslos, wie zurechtgeknickt und innerlich vereist.
Suko!
***
Dolche stießen in ihren Körper, Schmerzwellen rasten ihrem Gehirn entgegen. Die Welt in dieser Halle verwandelte sich für die schwache Sarah Goldwyn in einen fürchterlichen Alptraum, einen permanenten Zustand der Angst.
Es war das kalte Grauen, das sie umklammert hatte und nichts anderes mehr durchkommen ließ.
Suko, der Inspektor - Suko, der Vereiste - aber auch Suko, der Tote?
Die Brandi schwebte weiter. Neben dem regungslosen Inspektor blieb auch sie stehen und wies mit dem rechten Zeigefinger auf ihn. »Na, Signora, sehen Sie ihn?«
Lady Sarah konnte nicht einmal nicken, weil der Schock einfach zu tief saß.
»Das ist gut, das ist wunderschön. So hat es auch sein sollen, dehn das ist meine Überraschung.«
»Ja… ja…«
Die Brandi lachte in den Beifall der anderen Gäste hinein, die sich an dieser Szene weideten.
Aus dem Hintergrund erschien der Ober. Er ging so steif, als hätte er einen Stock verschluckt. Seine Hände verbarg er in weißen Handschuhen. Auf den Lippen lag ein süffisantes Lächeln.
Er gehörte dazu, war ebenfalls ein Manager des Grauens.
Allmählich verebbte der dumpfe Beifall. Die Stille breitete sich aus. Nur durch den offenen Eingang drangen die Geräusche der Nacht. Das schrille Singen der Grillen in höchsten Tönen. Wie eine Musik aus der Hölle, die genau zu dieser Szenerie passte.
Die Brandi fühlte sich wie auf der Bühne. Sie hob die Arme und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Dann lachte sie laut und schallend, anders konnte sie ihre Freude nicht dokumentieren. Bis das Lachen abrupt erstarb und die Frage gegen Sarah Goldwyn peitschte.
»Vermissen Sie
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