0638 - Das Palazzo-Gespenst
das hässliche Lachen einer Frau.
Dann war es vorbei…
***
Lady Sarah wusste genau, dass die Zeit verstrich, während sie auf die untergehende Sonne schaute.
Und sie war noch immer so schwach.
Dabei hatte Sarah Goldwyn damit gerechnet, dass ihre Schwäche im Laufe der Zeit nachlassen würde; dies war nicht der Fall gewesen. Im Gegenteil, sie fühlte sich noch mieser als am Mittag.
Teresa war nicht wieder erschienen. Das konnte sie dem Mädchen nicht einmal verübeln. Möglicherweise hatte sie der Kleinen einfach zuviel zugemutet.
Durst quälte sie; ihre Lippen waren spröde geworden, doch sie fand einfach nicht die Kraft, sich zu erheben und sich ein Glas Wasser aus dem Bad zu holen.
Starr und flach atmend blieb sie liegen, das taube Gefühl in den Gliedern und den dumpfen Druck im Kopf.
Hin und wieder hatte sie vom Gang her Geräusche gehört, doch niemand war in ihr Zimmer gekommen.
Es kam der Zeitpunkt, wo sie es nicht mehr schaffte, wach zu bleiben.
Die Augen fielen ihr automatisch zu, und Lady Sarah fiel in einen unruhigen Halbschlaf, in dem sie selbst sich kaum bewegte. Alpträume quälten sie.
Sie träumte von der Brandi, sah diese als Teufelin und als Gespenst zugleich, das über allem schwebte und die volle Kontrolle übernommen hatte.
Dann wurde sie wach.
Schlagartig geschah dies, wurde aus ihren Träumen brutal zurück in die Wirklichkeit gerissen, und dies war ebenso schlimm wie der Traum, wenn nicht noch schlimmer.
Neben ihrem Bett stand die Brandi!
Lady Sarah wollte es nicht glauben. Sie zwinkerte mit den Augen, der ungläubige Ausdruck in ihrem Gesicht breitete sich aus und ließ die Züge in einer gewissen Starrheit zurück.
»Ich bin es wirklich, Sarah.«
»Ja«, keuchte die Horror-Oma. »Ja, das sehe ich. Es… es ist kein Traum mehr.«
Rosanna lachte. »Dann haben Sie von mir geträumt? Das finde ich gut. Ich muss wohl einen starken Eindruck auf Sie gemacht haben - oder irre ich mich?«
»Einen negativen.«
»Das ist mir egal.« Sie beugte ihren Kopf vor. Lady Sarah roch die Schminke und das widerliche Parfüm. »Das ist mir alles egal. Es zählt nur mein Gewinn.«
»Haben Sie denn gewonnen?« Lady Sarah flüsterte.
»Ja, das habe ich. Ihre Trümpfe stachen nicht, Signora. Nicht der Chinese und auch nicht dieser Sinclair. Wir haben ihn erwischt, als er daran dachte, gewonnen zu haben. Und ich kann Ihnen versprechen, dass Venetia in der folgenden Nacht die neuen Opfer präsentiert bekommt. Auch Sie werden sich darunter befinden.«
Sarah schwieg. Ihre Gedanken rasten. Sollte sie der Brandi alles abnehmen, was sie gesagt hatte?
Bestimmt. Hier hatte sie das Sagen, und sie bekam von den anderen Gästen Unterstützung. In der Villa del Sole steckten sie fast alle unter einer Decke.
Rosanna schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Ausweg mehr, Sarah, nicht für Sie. Wir haben gewonnen. Wir wussten, dass wir gewinnen. Venetia soll auch weiterhin ihre Opfer bekommen, damit sie im nächsten Jahr wieder zurückkehren kann. Es war Mai, als man sie umbrachte, und im Mai kehrt sie wieder, um zu killen. Die Gäste warten bereits in der Halle. Es ist mittlerweile spät geworden. Die Sonne wanderte weiter, sie wird bald sinken und der Dunkelheit Platz schaffen. Das ist dann ihre Zeit, dann kommt sie hervor, um sich zu rächen. Keiner kann dem Palazzo-Gespenst entwischen.«
Lady Sarah hatte dem Klang der Stimme nachgelauscht. Diese satte Zufriedenheit widerte sie an. Sie schüttelte den Kopf, sie ekelte sich vor dieser Person, aber sie musste zugeben, nicht den Hauch einer Chance zu haben, zu stark war die Frau.
»Gehen Sie, Signora! Gehen Sie weg! Sie sind kein Mensch mehr. Ich sehe Sie als Teufelin an!«
Die Brandi nickte. »Ja, ich werde gehen, Sarah. Aber ich verlasse dieses Zimmer nicht allein, denn ich werde Sie mitnehmen. Sie bleiben an meiner Seite.«
»Und dann?«
»Wir gehen nach unten. Dort sind alle bereit. Sie warten auf uns, für Sie haben wir einen Platz serviert. Erinnern Sie sich noch an den letzten Abend?«
»Schon…«
»Es wird fast alles so ablaufen. Selbst der Champagner wurde bereits gekühlt, denn nach Ihrem Tod werden wir feiern. Es wird die Feier des Monats werden. Der Tod und der Sieg liegen dicht zusammen, und wir haben wieder unsere Ruhe, das kann ich Ihnen versprechen. Sarah. Venetia wird genügend Opfer bekommen haben, damit sie satt sein kann. Verstehen Sie?«
»Ja, Sie brauchen mir nichts mehr zu sagen, überhaupt nichts, Signora Brandi.«
»Dann
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