064 - Friedhof der Ghouls
einen Blick, um zu verhindern, daß ich später von hinten eins übergezogen bekam.
Vor der Kellertür blieb ich erneut stehen. Sie war geschlossen. Ich öffnete sie und lauschte mit angehaltenem Atem.
Nichts.
Ich schloß die Tür und sperrte sie ab. Dann näherte ich mich dem erhellten Wohnzimmer. Ich war so oft in diesem Haus gewesen, daß ich mir zutraute, auf Anhieb festzustellen, welche größeren Wertgegenstände fehlten.
Das Licht, das aus dem Wohnzimmer fiel, berührte meine Schuhspitzen und wanderte an meinen Beinen hoch. Schließlich erfaßte es mich ganz, und blitzende Reflexe tanzten auf dem Lauf meiner Waffe.
Mein Blick schweifte durch den wohnlich eingerichteten Raum.
Nichts war gestohlen worden. Das wertvolle Ölgemälde eines zeitgenössischen Expressionisten hing noch an seinem Platz, und in einer Glasvitrine funkelte nach wie vor Lance Selbys Goldmünzensammlung…
Jemand hatte sich Einlaß in dieses Haus verschafft!
Aber warum?
Ich begab mich ins Obergeschoß. Als ich die Schlafzimmertür öffnete, krampfte sich mein Herz zusammen. Monatelang hatte Lance hier gelegen. Roxane hatte ihn in einen magischen Tiefschlaf versetzt, aus dem er nicht mehr erwachte.
Professor Kulis synthetisches Blut hatte ihn zusehends altern lassen, und als Greis war er schließlich an Altersschwäche gestorben.
Ich schlich von einem Raum zum andern. Nirgendwo war jemand, und man hatte auch nichts entwendet. Das war mir unbegreiflich. Ich schob den Colt in die Schulterhalfter und kehrte um.
Jetzt war ich nicht mehr leise. Wozu auch? Ich befand mich allein in Lance Selbys Haus.
Jedenfalls dachte ich das.
Doch Augenblicke später belehrte mich ein Geräusch eines Besseren. Der Colt Diamondback flog mir förmlich gleich wieder in die Hand, und ich pirschte mich die Treppe hinunter.
Es mußte sich doch jemand im Wohnzimmer befinden, und den wollte ich mir nun kaufen!
Ich ließ die letzte Stufe hinter mir und nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Wie von der Natter gebissen drehte ich mich, und der Colt machte die rasche Bewegung mit, doch im nächsten Moment entspannte ich mich, denn ich sah keinen Feind, sondern Boram.
Er brauchte meine geweihten Silberkugeln nicht zu fürchten, denn er bestand nur aus dampfendem Nesselgift. Selbst wenn ich aus Versehen abgedrückt hätte, wäre nichts passiert. Die Kugel wäre lediglich durch ihn hindurchgesaust. Ich wußte das so genau, weil ich schon mal auf ihn geschossen hatte, denn als ihn der Zauberer Angelo d'Alessandro schuf, war der Nessel-Vampir mein Feind. Erst unter Zwang drehte d'Alessandro ihn um und machte ihn mit einem Spruch zum weißen Vampir. [2]
Boram sprach kein Wort. Er kam näher, und wir betraten gemeinsam den Living-room, in dem ich mich schon einmal umgesehen hatte.
Nicht gründlich genug, wie mir nun auffiel, denn diesmal entdeckte ich Beine!
Ich schluckte trocken, und meine Kopfhaut spannte sich. Boram bedeutete ich, sich im Hintergrund zu halten, dann näherte ich mich langsam dem hohen Ohrensessel, in dem jemand saß.
Der Sessel ließ sich drehen, wie ich wußte. Schon oft hatte ich darin gesessen und mich mit Oda und Lance Selby unterhalten. Er war sehr bequem. Wenn ich einmal darin Platz genommen hatte, konnte ich mich lange nicht dazu entschließen, mich wieder zu erheben.
Ich atmete flach, und mein Herz klopfte immer wilder gegen die Rippen. Zwei Schritte trennten mich noch von dem Sessel.
Was dachte der Kerl sich? Daß ich einfach nach Hause gehen würde? Er hätte sich zumindest die Mühe machen müssen, die Beine einzuziehen, damit ich sie nicht sehen konnte.
Ein Schritt noch!
Jetzt hielt ich den Atem an. Mit der Linken griff ich nach der hohen Rückenlehne, während sich meine Rechte noch fester um den Kolben des Colts Diamondback schloß, und in der nächsten Sekunde drehte ich den Ohrensessel mit Schwung herum.
Die ausgestreckten Beine schleiften über den Teppich. Sie beschrieben dabei einen Kreis.
Boram kam näher, um einzugreifen, falls es nötig sein sollte. Aber ich brauchte keine Hilfe.
Dennoch war ich erschrocken. Erschrocken und fassungslos, denn im Sessel saß ein alter Mann. Ein Greis mit faltigem Gesicht und schlohweißem Haar.
Teufel noch mal, in diesem Ohrensessel saß mein toter Freund Lance Selby!
***
Fassungslos fragte ich mich, wie Lance hierher kam. Sein Leichnam war gestohlen worden. Ich konnte mir nicht erklären, wer das getan hatte und warum. Und noch weniger hatte ich eine Erklärung dafür,
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