064 - Friedhof der Ghouls
Wunder vollbracht hatte, würde ich vielleicht später erfahren. Im Augenblick war es eine Freude für mich, zu sehen, daß ich meinen guten Freund nicht verloren hatte. Es gab ihn noch, und ich war voller Hoffnung, daß es uns gelingen würde, Lance dazu zu bringen, sich wieder zu erinnern.
»Wir kämpften Seite an Seite gegen die schwarze Macht«, sagte ich. »Viele Schlachten haben wir zusammen geschlagen.«
Ich zählte die Namen der anderen auf. Vicky Bonney, Roxane, Mr. Silver, Cruv… Auch Oda erwähnte ich, obwohl sie nicht mehr bei uns war. Ich erhoffte mir bei der Nennung ihres Namens wenigstens eine kleine Reaktion, doch nicht ein Muskel zuckte in Lance Selbys faltenübersätem Gesicht.
In seinem Hirn war alles ausgelöscht.
Dieser Mann fing wieder bei Punkt Null an. Er wußte nicht einmal, wie er hieß. Ich zählte die wichtigsten Abenteuer auf, die wir zusammen bestritten hatten, und zeigte ihm meinen magischen Flammenwerfer, den er zusammen mit einem rumänischen Kollegen entwickelt hatte.
Es half nicht.
Sein Erinnerungsvermögen ließ sich nicht aktivieren. Ich ging dazu über, die Namen unserer Feinde aufzuzählen.
Nichts.
»Lance«, gab ich noch nicht auf. »Was ist das letzte, an das du dich erinnern kannst?«
Er antwortete nicht, schüttelte nur hilflos den Kopf.
»Da ist eine Ungereimtheit, Lance!« sagte ich. »Du weißt nicht, wer du bist, was für einen Beruf du hast, wer deine Freunde und Feinde sind… Aber du kommst von irgendwo hierher zurück! In dein Haus! Kannst du mir das erklären?«
Wieder dieses verzweifelte, hilflose Kopfschütteln. »Nein, Mr. Ballard, das kann ich nicht.«
»Würde es dir etwas ausmachen, mich Tony zu nennen? So wie früher.«
»Tony…«, sagte er, und es klang so, als käme dieser Name zum erstenmal über seine Lippen.
Ich erzählte ihm, wie es ihm im letzten Jahr ergangen war. Er nahm zur Kenntnis, daß er erst 38 Jahre alt war, zweifelte nicht daran. Für ihn schien alles wahr zu sein, was ich ihm sagte. Er hörte aufmerksam zu, denn ich bot ihm die Möglichkeit, etwas über sich zu erfahren.
Als ich von seinem Tod sprach, zweifelte er nicht einmal daran, doch er konnte mir nicht sagen, wie es danach mit ihm weitergegangen war. Wieder fragte ich ihn, wie er nach Hause gefunden hatte. Er wußte es nicht. Er erklärte mir, daß sein Bewußtsein erst in diesem Haus eingesetzt hatte. Davor war nur eine tiefe Schwärze. Eine Dunkelheit, die sich nicht erhellen ließ.
»Das erste, was ich bewußt wahrnahm, warst du, Tony«, sagte Lance Selby.
»Mach dir trotzdem keine Sorgen«, erwiderte ich optimistisch. »Wir haben dich erst mal wieder. Nichts ist wichtiger als das. Vielleicht kann dir Mr. Silver helfen. Vielleicht hellt sich die Dunkelheit eines Tages von selbst auf. Hauptsache, du lebst. Du hast die letzte Zeit vor dem Krankenhaus bei uns verbracht. Ich denke, es wäre gut, wenn wir dich wieder zu uns nehmen würden.«
Der Greis schüttelte den Kopf. »Das will ich nicht.«
»Du bist schwach, brauchst Pflege. Vicky übernimmt das gern.«
»Ich möchte euch nicht zur Last fallen.«
»Quatsch, Lance, du bist doch unser Freund.«
»Ich komme allein zurecht«, sagte Lance Selby entschieden. »Ich möchte hierbleiben. Es ist mein Haus, wie du sagst.«
»Ja, das ist es.«
»Dann will ich auch darin wohnen.«
»Okay«, sagte ich. »Aber unter einer Bedingung: Wir dürfen uns um dich kümmern.«
Dagegen hatte der alte Mann nichts einzuwenden.
Ich kehrte mit Boram zu Vicky Bonney zurück und bereitete ihr die größte erfreuliche Überraschung seit langem. Sie sagte sofort, sie würde sich unseres Freundes annehmen, und Boram stieg mit mir in den Rover, denn es gab zur Zeit ein noch wichtigeres Problem, das wir lösen mußten.
***
Terri Culp sah, wie Russell Ayres nach dem Alabasterteufel griff, wußte jedoch nicht, was das für Folgen hatte. Mit dem Messer in der Hand stand sie da und zitterte wie Espenlaub.
»Seit wann bist du denn eine so kriegerische Amazone?« fragte Ayres spöttisch. »Das bin ich von dir nicht gewöhnt. Das Messer paßt nicht zu dir. Leg es weg.«
Die Kosmetikerin schloß ihre Hand noch fester um den Messergriff. Sie wußte, daß sie nicht imstande sein würde, Russell damit zu verletzen. Sie wollte ihn nur einschüchtern, aber er hatte keine Angst. Es hatte den Anschein, daß er sich für unverwundbar hielt, und irgendwie traf das auch zu, denn die Magie des Alabasterteufels vermochte ihn wirksam zu
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