0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
bewegte und sie langsam zu seinem Gesicht hoch führte, dessen Blässe verschwunden war.
Es hatte plötzlich einen rötlichen Ausdruck angenommen, einen starken, für mich unerklärlichen Farbschimmer, der sich bis zum Hals hin ausbreitete.
Dann würgte er. Aber nicht, weil sich seine Hände um den Hals gelegt hatten, es war der Anblick, der ihn wie ein Hammerschlag traf, der ihn fertig machte und in einen Zustand versetzte, der mit dem Wort Auflösung umschrieben werden konnte, denn als seine Hand gegen die Haut an der Wange klatschte, hörte ich einen Laut, der mich an das Aufschlagen eines Lappens ins Wasser erinnerte.
Seine Tat hatte damit nichts zu tun, denn er war dabei, sich die weich gewordene Haut vom Gesicht abzuziehen.
Es sah furchtbar aus. An der linken Stirnseite begann es, er zerrte sie nach unten. Blut und gelbliche Flüssigkeit folgten, tropften auf die Decke, dann riss er den letzten Streifen dicht unter seinem Kinn kurzerhand ab.
Ich hatte längst die Erwärmung meines Kreuzes mitbekommen. Es strahlte seine Kraft ab, traf die lebende Leiche und würde sie aus der Entfernung zerstören.
Die linke Gesichtshaut hatte er abgerissen, er würde sich nun die Rechte vornehmen. Irgendwann musste es jemandem auffallen, dann war es bis zur Panik nicht mehr weit.
Das trat nicht ein.
Dafür etwas anderes.
Ich hörte meinen Namen und erkannte auch die Stimme des Rufers. Es war Kommissar Stahl.
»John…« Dann noch mal. »John, bitte…«
Ich stand auf, drehte mich um - und sah zwei Dinge: Zum einen den dunkel gekleideten Mann aus dem Auerbach-Keller, der noch immer dieselbe Kleidung trug.
Zum anderen aber den Kommissar.
Und er wurde vom Schatten des Mannes umklammert wie eine gefährliche Würgeschlinge…
***
Der Treffer war hart, aber nicht zu hart gewesen. So konnte Suko das Gefühl in seinem Kopf aushalten, das der Hieb hinterlassen hatte. Sein Denkapparat und sein Aufnahmevermögen waren nicht gestört, ebenso wenig wie die Sehfähigkeit.
Nur was er sah, gefiel ihm nicht.
Der Schein, der ihn von zwei Seiten einrahmte, stammte von den zahlreichen am Boden aufgebauten Kerzen, die nicht nur Licht schufen, sondern auch Wärme. Suko schwitzte schon.
Er wollte sich bewegen, aufstehen, doch es war ihm nicht möglich. Hände und Füße waren an die Sargplatte gefesselt. Suko musste zugeben, dass die Fesselung perfekt war und eines Vincent van Akkeren durchaus würdig.
Er konnte nichts tun, und ein Wort schoss ihm durch den Kopf, das ihm überhaupt nicht gefiel.
Hilflos…
Reine Hilflosigkeit, dort zu liegen, gefesselt auf einem Stück Holz, brutal angebunden und darauf wartend, dass ein anderer die Initiative übernahm.
Ein Vincent van Akkeren. Der Stellvertreter des Dämons Baphomet auf dieser Welt. Durch Niederlagen gezeichnet, sich wieder erholend, hatte er schon in London versucht, Einfluss zu gewinnen.
Doch sein gefährliches Killerspielzeug hatte nicht so reagiert, wie er es gern gehabt hätte. Und jetzt war es vorbei.
Leider nicht mit ihm, sondern mit Suko.
Sich darüber zu ärgern, wie ein Blinder in die Falle getappt zu sein, darüber machte sich Suko keine Gedanken. Er war nicht der Typ, der sich von derartigen Dingen auffressen ließ, weil es einfach keinen Sinn hatte.
Auch das Zerren an den Lederriemen brachte nichts. Sie waren zu fest geschürt worden.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Vincent van Akkeren zu warten, der seiner Ansicht nach irgendwann erscheinen würde, denn einen derartigen Triumph ließ sich ein Mann wie er nicht entgehen.
Als Lichtquelle dienten allein die Kerzen. Er konnte sie nicht zählen, denn von der Menge her wirkten sie wie ein brennendes, flackerndes Meer, gaben einen ungewöhnlichen Schein ab. Nicht rot oder gelb, mehr bläulich bis weiß, ein Licht, das zwar Wärme ausströmte, aber eine gewisse Kälte nicht verleugnen konnte.
Auch dies passte zu van Akkeren, dem Baphomet-Diener, dem Führer der abtrünnigen Templer, die dem großen Dämon ebenfalls zu Willen waren und alles für ihn taten.
Van Akkeren und Baphomet liebten die Welt der Schatten und der Nacht. Sie waren Boten der Finsternis. Aus dem lichtlosen Dunkel schöpften sie ihre Kräfte, bevor sie sich daran begaben, Menschen zu infiltrieren und sie zu ihren Dienern zu machen.
Suko dachte schon jetzt darüber nach, was der andere mit ihm vorhatte.
Es musste für Vincent van Akkeren einen ungewöhnlichen Erfolg bedeuten, den Inspektor wehrlos vor sich zu sehen. Suko und John
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